Ein Traumtänzer, des Kämpfens müde

BERLIN. Jürgen W. Möllemann ist tot. Über Jahrzehnte gehörte er zu den schillernsten Persönlichkeiten des politischen Lebens in der Bundesrepublik. Eine Geschichte des Scheiterns, glaubt unser Berliner Korrespondent Bernard Bernarding. Ein Nachruf.

Am Ende stand der freie Fall. Jürgen W. Möllemann, Stehaufmännchen und Überflieger, Traumtänzer und Selbstdarsteller, war des Kämpfens offenbar müde. Über dem sonnigen Himmel von Marl in Nordrhein-Westfalen löste sich am Donnerstag Mittag in etwa 1500 Metern Höhe der Hauptfallschirm vom Körper. Möllemann stürzte ins Nichts. Es schien, als habe der ewige Provokateur und Medienmensch seinen eigenen Tod inszeniert. Mit diesem spektakulären, möglichen Selbstmord endet eines der schillerndsten politischen Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mehr als 30 Jahre lang hat Jürgen Möllemann Freund und Feind, vor allem seine alte FDP und die Medien, auf Trab gehalten. Immer dynamisch, immer egozentrisch, immer willenstark und zielorientiert. Wie ein Milchbubi sah der gelernte Lehrer aus, als er 1972 erstmals für den Bundestag kandidierte, ein Grund vielleicht, warum man ihn damals nicht recht ernst nahm. Das änderte sich schnell, als sich der ebenso mutige wie übermütige FDP-Abgeordnete Möllemann mit frechem Mundwerk und kantigen Ellenbogen seinen Weg bahnte. Im Windschatten des großen Liberalen Hans-Dietrich Genscher, der einen Narren an dem kessen Burschen gefunden hatte, machte Möllemann Karriere. Und was für eine: Landesvorsitzender Nordrhein-Westfalen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, Bildungsminister, Wirtschaftsminister, Vizekanzler, stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender, Präsident der deutsch-arabischen Gesellschaft, Unternehmer (WebTec - Wirtschafts- und Exportberatung Düsseldorf), Aufsichtsratsvorsitzender des Kultclubs Schalke 04. Überall mischte Möllemann mit, immer war er auf Ballhöhe, nie war er in Verlegenheit zu bringen - bis ihm sein Größenwahn zum Verhängnis wurde. Was ist nicht alles über ihn gesagt und geschrieben worden: Genschers Bauchredner sei er, ein "Riesenstaatsmann Mümmelmann" (Franz Josef Strauß), ein "Quartalsirrer" (Hermann Otto Solms), ein "intrigantes Schwein" (Parteifreundin Irmgard Schwaetzer). "Er kann auch echt liebenswürdig sein", hat selbst der ehemalige Mitstreiter und spätere Erzfeind Guido Westerwelle neidlos anerkannt. Aber, und das war sein hervorstechender Charakterzug: Möllemann war hemmungslos egoman und geltungssüchtig. Als Politiker ist er vor allem daran gescheitert, dass er immerfort selbst Kalif werden wollte anstelle des Kalifen. "Ich wäre gerne Außenminister geworden", hat er ungeniert bekannt. Hätte er dieses Ziel erreicht, wäre ihm vermutlich sogar der Parteivorsitz schnuppe gewesen. Den hat er auch angestrebt, weil er ihn als ideales Sprungbrett für das Amt des deutschen Chefdiplomaten betrachtete. Indes, trotz seines unbestrittenes politischen Talents: Kaum jemand war weniger für den Topjob geeignet als der eitle Mann aus Münster, der sich nie vom Image des skrupellosen Karrieristen befreien konnte. Sie küssten und sie schlugen ihn

Möllemann wurde bewundert, weil er trotz aller Niederschläge immer wieder aufstand (den NRW-Landesvorsitz verlor er gleich zweimal, als Wirtschaftsminister musste er nach der "Chip-Affäre" passen). Alle Welt bewunderte ihn, wie er - Mitte der 90er Jahre politisch abgemeldet - tatsächlich das Comeback schaffte. Und wie: Rückkehr in die Parteiführung, glorioser Wahlerfolg 2000 in NRW, wo er einen leblosen Haufen namens FDP mit fast zehn Prozent beinahe im Alleingang in den Landtag hievte. Dieser sensationelle Sieg hat dem seither nur noch großspurig auftretenden Möllemann politisch das Genick gebrochen. Er glaubte, mit Geld (das aus dubiosen Quellen stammte), forschem Witz und Medien-Präsenz sei alles möglich, auch die Verwandlung der bislang elitären Klientelpartei FDP in eine nationale Volkspartei. Deshalb das "Projekt 18", das er (mit einem Berater) erfunden hat. Deshalb das Drängeln, ja Drangsalieren des jungen Parteivorsitzenden Westerwelle, deshalb seine fiese Taktik, mit unterschwelligen Ressentiments gegen Juden am rechten Rand Stimmen zu ködern. Doch der "Flyer", der diese Botschaft transportieren sollte, wurde ihm zum Verhängnis: Er wurde erst angeklagt, dann ausgegrenzt, dann aus der Partei verstoßen. Dem Ausschluss kam er durch "freiwilligen" Austritt zuvor. Warum hat er es getan? Warum zog er diese Konsequenz? Fest steht, dass es eng wurde für Möllemann, der mit seiner Firma Webtec undurchsichtige Geschäfte machte und ein geheimnisvolles Finanzgebahren als FDP-Landeschef an den Tag legte. Nach Erkenntnissen der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft könnte Möllemann zwei Wahlkämpfe mit Geldern finanziert haben, die aus dem Ausland stammten. So wurden zwischen 1995 und 1999 insgesamt 5,2 Millionen Mark von der Liechtensteiner Briefkastenfirma "Curl AG" auf ein WebTec-Konto transferiert. Wofür Möllemann das Geld bekam, war für die Betriebsprüfer nicht nachvollziehbar. Mindestens eine Million Mark erhielt er zudem von seinem Freund Rolf Wegener, dessen panamesische Briefkastenfirma Anfang der 90er Jahre 8,9 Millionen DM für die Vermittlung des umstrittenen "Fuchs"-Panzergeschäfts mit Saudi-Arabien kassiert hatte. Möllemann hatte den Panzer-Export - er war damals Wirtschaftsminister - gefördert. Unklar ist auch bis heute, aus welchen Quellen Möllemanns Konto in Luxemburg gespeist wurde, von dem er mehrfach hohe Barbeträge abgehoben hatte. Von diesen Geschäften und der politischen Quertreiberei wollte gestern verständlicherweise niemand etwas wissen in Berlin. Allesamt zeigten sich seine ehemaligen Freunde und Gegner fassungslos. Das meist gebrauchte Wort hieß "tragisch".

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