Erfolgsstory mit Kratzern

BERLIN. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe zieht nach 100 Tagen eine positive Maut-Bilanz – die Trendwende zugunsten der Schiene ist aber ausgeblieben.

Für Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) haben sich alle Hoffnungen erfüllt. 100 Tage nach Einführung ist die LKW-Maut aus Sicht des Ministers "doch noch eine Erfolgsgeschichte geworden". Die Betonung bei der gestrigen ministeriellen Bilanz lag auf dem Wörtchen "doch" angesichts der zahlreichen peinlichen Pannen bis zum Start Anfang Januar. 661 Millionen Euro für die Bundeskasse

Inzwischen hat die Gebühr aber 661 Millionen Euro in die Bundeskasse gespült, am Ende des Jahres könnten nach Meinung von Verkehrsexperten der Regierungsfraktionen sogar mehr als die veranschlagten drei Milliarden Euro eingenommen werden. Nicht jeder will allerdings in den Jubelchor mit einstimmen: Dass mehr Güterverkehr auf die Schiene verlagert wurde, so ein Sprecher der Deutschen Bahn AG gegenüber unserer Zeitung, sei nicht erkennbar. Ein zentrales Ziel der Maut-Einführung ist damit bislang verfehlt worden. Nach wie vor hat die Schiene nur einen Marktanteil von rund 16 Prozent am gesamten Güterverkehrsaufkommen. Und bei der Bahn glaubt man vorerst nicht an einen Schub durch die LKW-Maut: "Die Mauthöhe reicht nicht aus, damit die Verlader in großem Maße von der Straße auf die Schiene umspringen. Sie müsste deutlich höher sein", so der Konzernsprecher. Für Stolpe ist dies jedoch kein Thema – überdies gucken die Güterbahnen vielfach auch deshalb in die Röhre, weil der Transportmarkt derzeit von osteuropäischen Billiganbietern überschwemmt wird. "Und die machen die Preise total kaputt", heißt es. Statt hin zur Schiene hat die Einführung der LKW-Maut indes für eine andere Verlagerung gesorgt: Zum Leidwesen vieler Anwohner in den Kommunen benutzen immer mehr Trucker Ausweichstrecken, um die Gebühr von durchschnittlich 12,4 Cent pro Kilometer zu sparen. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hat inzwischen 65 dieser Routen auf einer Liste, und von Woche zu Woche kommen laut Naturschützer neue Bundes- und Landstraßen hinzu. "Wir müssen die Fahrer vergrämen, bevor sich die Routen eingeschleift haben", weiß auch Minister Stolpe. Sofortmaßnahmen wie Fahrverbote, Tempolimits und zusätzliche Kontrollen seien schon jetzt anwendbar. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern will darüber hinaus im Juni Erkenntnisse zu ständigen Ausweichstrecken vorlegen. Stolpe ist entschlossen, diese Straßen dann ebenfalls zu bemauten. Das entsprechende Verkehrszeichen gibt es schon, vor allem aber muss dafür die zweite Stufe der automatischen Erfassung zum 1. Januar 2006 auch tatsächlich realisiert werden. Eine erneute Bewährungsprobe für den Betreiber Toll Collect, denn erst mit der ausgereiften Software-Version können Bundesstraßen mautpflichtig gemacht und die von Stolpe geplante Gebührenerhöhung für stark rußende LKW in die Tat umgesetzt werden. Dann wäre es auch kein Problem, die Maut auszudehnen auf Fahrzeuge unter zwölf Tonnen, also auf Kleinlaster, wie Grüne und ADAC vorschlagen. Ein weiteres Problem könnte sich zudem bald verschärfen: Vier Millionen Fahrzeuge wurden laut Stolpe schon bis Ende März kontrolliert, 67 000 Ordnungswidrigkeitsverfahren mussten eingeleitet werden. Noch bewegt sich die Quote der Mautpreller konstant unter drei Prozent. In den ersten drei Monaten des Jahres fährt das Transportgewerbe jedoch witterungsbedingt stets im Schongang. In den nächsten Wochen ist deshalb mit einem deutlichen Anstieg bei den Mautprellern zu rechnen, wie Expeten glauben. Gerade ausländische Transporteure sollen dem Vernehmen nach dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) vergleichsweise oft durch die Maschen gehen. Auch Minister Stolpe weiß, dass prellende Trucker neuerdings verstärkt nachts fahren. Das BAG, das 560 Kontrolleure im Einsatz hat, will nun Schwerpunktkontrollen in die Nacht verlegen.

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