Erst Jubel, dann Entsetzen

MAINZ. Nach der extremen Spannung die große Ratlosigkeit: Der Jubelschrei über ein zweistelliges Ergebnis bleibt den Liberalen im Mainzer Abgeordnetenhaus Sekunden nach 18 Uhr fast im Halse stecken, während die CDU drei Stockwerke höher wie vom Donner gerührt die Wahlprognose hinnimmt – Schwarz-Gelb in Berlin bleibt Wunschtraum.

Aufregung macht sich in den Fraktionsräumen bereits vor der Schließung der Wahllokale breit: Erste interne Ergebnisse der Wahlnachfrage verschiedener Umfrageinstitute sind vorzeitig durchgesickert und signalisieren der FDP starke Zuwächse, vielleicht sogar ein zweistelliges Ergebnis.Freudige Erwartungen stehen in den Gesichtern der Liberalen. Bei der CDU dagegen eine fast lähmende Verunsicherung. Reicht es für Schwarz-Gelb? "Die FDP hat offensichtlich erfolgreich bei der CDU nach Zweitstimmen gefischt", stellt Fraktionsgeschäftsführer Herbert Jullien fest, noch bevor die Zeiger auf 18 Uhr springen und die Wahlprognosen über alle Bildschirme flimmern.

Ratlosigkeit bei CDU-Wahlparty

Was folgt ist ein großer Jubelschrei bei der FDP - und die postwendende Feststellung eines Wahlkampfhelfers: "Die CDU hat versagt." Betroffenheit, Ratlosigkeit und Frust herrscht gleichzeitig bei der Wahlparty der Union. Keine Reaktion auf die für einige Unionsanhänger im ersten Moment "erschütternden Zahlen". CDU-Parteivize Hans-Josef Bracht steht maßlos enttäuscht im Raum und hofft noch. Aber nicht mehr wirklich ernsthaft. Fassungslosigkeit macht sich breit. Nur die Spekulation des Fernsehmoderators um mögliche Mehrheiten, bei denen für ein Bündnis von Schwarz-Gelb und Grün der Begriff "Jamaica-Koalition" auftaucht, weil sich darin die Nationalfarben der Karibik-Insel wiederfinden, löst vereinzelte müde Lacher aus.

Erst nach mehr als einer Stunde meldet sich CDU-Landeschef Christoph Böhr zu Wort: "Der Wähler hat das letzte Wort gesprochen - und alle ratlos zurückgelassen." Er sieht alle Fragen offen, auch wenn klar ist, dass es trotz der Abwahl von Rot-Grün für Schwarz-Gelb nicht reicht. Die Wahlniederlage will er nicht beschönigen, schließlich ist die CDU um mehr als deutlich hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. Zu selbstgewiss sei man in die Wahl gegangen und jetzt eines besseren belehrt worden.

Um eine Große Koalition will er nicht bei der SPD "betteln", schließlich geht es nicht nur um Machtfragen. Aber reden sollte man schon. Sein Trost: Wählen die Rheinland-Pfälzer bei der Landtagswahl in sechs Monaten wie jetzt bei der Bundestagswahl, stünde wenigstens in Mainz eine schwarz-gelbe Koalition.

Für solche Zahlendeutungen haben die Liberalen nur ein mildes Grinsen übrig. Während bei der CDU Wetten auf ein Linksbündnis in Berlin angeboten werden, schließen die Freidemokraten einschließlich ihres Landesvorsitzenden Rainer Brüderle Ampel- oder "Jamaica"-Koalitionen kategorisch aus. Dann lieber Opposition, heißt die Parole. Die Große Koalition wird kommen, glaubt FDP-Justizminister Herbert Mertin. Aber richtig sicher, was tatsächlich wird, ist sich niemand. Alles ist offen - trotz der vielen Koalitionsabsagen an diesem Abend.

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