Ex und hopp ins Koma

Berlin. Tequila-Wettrinken, Wodka-Rausch und Partys, bei denen der Alkohol ohne Unterlass fließt: Immer mehr Jugendliche in Deutschland betrinken sich exzessiv – und landen mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus. Was soll die Politik dagegen tun?

Boulevard-Zeitungen haben den 16-Jährigen "Tequila-Junge" getauft. Seit 15 Tagen liegt der Berliner Tom A. im Koma - nach einer lebensgefährlichen "Sauf-Tour". Die Ärzte hatten nach seinem Zusammenbruch vier Promille festgestellt, angeblich soll er 45 Tequila "ex und hopp" getrunken haben. "Komasaufen" nennen die Jugendlichen diesen obskuren Freizeitsport, den die Drogenbeauftragte der Bundesregierung schon seit einigen Jahren in ihren Berichten beklagt. Der Trend scheint sich durch besondere Angebote der Gastronomie noch einmal verstärkt zu haben, glauben Experten. Gestern klang es daher zunächst so, als wolle die Politik handeln und ein generelles Alkoholverbot für Jugendliche unter 18 Jahren erlassen. Doch daraus dürfte nichts werden. Die Gesetzeslage umfasst die meisten Fälle schon - wer den Vollrausch will, tut dies mit Hochprozentigem. Nach den Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes liegt die Altersgrenze für den Verkauf branntweinhaltiger Getränke bereits bei 18 Jahren. "Bier, Wein und Sekt sind in Deutschland Traditionsgetränke, das ist ein Stück Kultur von uns", wandte sich der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Bernhard Kaster (CDU), gestern gegenüber unserer Zeitung gegen eine Ausweitung des Verbots auf diese Getränke. Sie sind bereits ab 16 Jahren erlaubt. Kaster widersprach damit einer Forderung der Drogenbeauftragten seiner Fraktion, Maria Eichhorn (CSU). Eichhorn und andere Parlamentarier hatten entsprechende EU-Pläne begrüßt. Neben Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) hält selbst die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, (SPD) nichts von der Idee: Sie will mehr auf verantwortliches Handeln der Gastronomie und bessere Kontrollen setzen. "Eine Verbotsgesellschaft zu schaffen, ist auch der falsche Weg", ergänzte Kaster. Allenfalls ein Kontrolldefizit?

Demnach dürfte vorerst alles beim Alten bleiben. Fakt ist jedoch: Immer mehr Minderjährige verbringen laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) ihre Freizeit mit dem Trinken bis zum Umfallen. Bundesweit habe mehr als ein Drittel der Zwölf- bis 17-Jährigen bereits einen Alkoholrausch erlebt. Bei den 15- bis 17-Jährigen greifen bereits 31 Prozent regelmäßig zur Flasche, wie der Shell-Studie 2006 zu entnehmen ist. Neu ist zudem, dass Klubs und Bars "Flatrate-Partys" und "All You Can Drink"-Feiern anbieten, bei denen die Besucher für einen Festpreis so viel trinken dürfen, wie sie können. Solche Angebote seien doch "gesellschaftlich etabliert", erinnert Stephan Büttner, Chef des Bundesverbandes der Diskotheken, an entsprechende Reiseangebote. Büttner im Gespräch mit unserer Zeitung: "Wir haben kein Regelungsdefizit, sondern allenfalls ein Kontrolldefizit." Ein Verbot solcher Partys und Änderungen beim Jugendschutz "gehen zu weit". Experten haben überdies noch etwas anderes festgestellt: Es ist derzeit "cool" unter Jugendlichen, Alkohol zu trinken. Und zwar nicht mehr nur heimlich im Partykeller von Mama und Papa, sondern in aller Öffentlichkeit. Trends, denen man laut Drogenbeauftragter Bätzing Aufklärung entgegensetzen muss: "Jeder trägt hier Verantwortung, auch Bildungseinrichtungen, Sportvereine und nicht zuletzt die Familie."

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