Familie ist mehr

Pflegende Angehörige sollen entlastet werden, für ambulante Pflegedienste soll es mehr Geld geben. Das sind die Eckpunkte der Pflegereform.

Trier. Doch noch herrscht Uneinigkeit in der Großen Koalition, wie die Reform aussehen soll. Darüber sprach unser Redakteur Bernd Wientjes mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Frau Schmidt, wie schlimm steht es um unsere Pflegeheime? Der letzte Prüfbericht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zeichnet ein düsteres Bild. Schmidt: Richtig ist: es gibt viel zu viele Miss-Stände in den Heimen. Das gehen wir mit der Reform an: mehr Kontrollen, bessere Information, bessere Qualität. Aber die Pflegekräfte in den meisten Einrichtungen leisten gute - und harte - Arbeit. Die Situation hat sich bereits etwas gebessert. Allerdings ist auch klar: Einzelne Missstände lassen sich nie ganz ausschließen.Brauchen wir also einen Pflege-Tüv? Schmidt: Im Entwurf zur Pflegereform sind einheitliche Pflegestandards für alle Heime vorgesehen. Diese werde regelmäßig überprüft, die Ergebnisse werden in verständlicher Form veröffentlicht und zwar mit dem Namen eines Heimes. Hier beginnt der Wettbewerb um die Qualität. Mehr Wettbewerb durch mehr Transparenz ist ja nur ein Teil der Pflegereform. Wie soll die aussehen? Schmidt: Mein Ansatz: Möglichst viele Menschen sollen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben können, weil das auch ein Stück Heimat bedeutet. Daher muss die ambulante Pflege finanziell gestärkt werden. Pflegebedürftige in der Nachbarschaft oder im selben Haus können sich zusammentun und gemeinsam Leistungen einkaufen. Spätestens Ende nächsten Jahres soll außerdem ein neuer Pflegebegriff gefunden sein, so dass nicht mehr der reine Zeitaufwand die Pflege bestimmt, sondern der spezifische Bedarf an Pflege.Und wie soll den pflegenden Angehörigen geholfen werden? Schmidt: Deren Rolle wird einmal durch eine halbjährige Pflegezeit aufgewertet. Dann durch eine Freistellung von der Arbeit von bis zu zehn Tagen für Angehörige, die plötzlich mit einem Pflegefall konfrontiert sind. Diese Zeit des Fragens und Organisierens und Suchens ist so belastend, dass bis zu zehn Tage bezahlt werden sollen, genau wie bei der Betreuung kranker Kinder. Ihr Koalitionspartner ist über diesen Vorschlag aber nicht sehr begeistert. Schmidt: Es kann doch nicht sein, dass die Union, die sich ja Familienpolitik ganz oben auf die Fahnen geschrieben hat, diejenigen, die ihre Eltern pflegen, derart vor den Kopf stößt. Familie ist eben nicht nur, dass Mütter Kinder erziehen, Familie ist auch, dass Kinder sich um die Eltern kümmern. Ein Pflegefall stellt Familien nun mal oft vor schier unlösbare Probleme. Ein weiterer Streitpunkt dürfte die Finanzierung der Reform sein. Schmidt: Die Beiträge zur Pflegeversicherung werden um 0,25 Prozent angehoben. Dadurch haben wir 2,5 Milliarden Euro mehr für die Leistungsverbesserungen. Am besten wäre es, wenn auch die privat Versicherten, die ja genau die gleichen Leistungen erhalten, in die Pflegeversicherung einzahlten. Dann wäre bis 2030 genügend Geld in den Pflegekassen.An der Finanzierung der Pflegeversicherung soll sich aber nichts ändern? Schmidt: Wir bleiben bei der einkommensbezogenen Finanzierung. Ein Umdrehen der Sozialen Pflegeversicherung auf Kapitaldeckung, auch noch ohne die Privaten, das geht so mit uns nicht. Dabei würden doch die Menschen richtig zur Kasse gebeten. Das klingt aber nach einen ähnlichen Kompromiss hinausläuft wie bei der Gesundheit? Schmidt: Entscheidend ist jetzt, dass wir die heutigen Probleme angehen und die Perspektive für die Pflege weiterentwickeln. Ich hoffe, dass die Union einsieht, dass die bezahlte Freistellung für pflegende Angehörige unumgänglich ist, und dass die private Versicherung bei der Pflege nicht außen vor bleiben kann.

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