Fenster für die Dunkelkammer

BERLIN. Die Wirtschaft ist mit ihrer Geduld am Ende. Genervt vom deutschen Amtsschimmel will sie "die Axt des Wettbewerbs anlegen" und eine gründliche Durchforstung des bürokratischen Dschungels einfordern.

Die Notwendigkeit einer umfassenden Entbürokratisierung gilt als unbestritten: Kam das Bundesgesetzblatt in den 50er-Jahren noch mit 1000 Seiten pro Jahr aus, um neue Gesetze und Verordnungen abzudrucken, so sind es mittlerweile jährlich 3700 Seiten mit neuen Vorgaben des Gesetzgebers. Auch deshalb klagen immer mehr Unternehmen (und Bürger) über den flächendeckenden Papierkrieg, den dies zur Folge hat. Der zuständige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement lässt zwar durchaus Einsicht erkennen lässt und hat sogar schon einen "Masterplan Bürokratieabbau" vorgelegt. Nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Reinhard Göhner, reicht dieser Ansatz aber bei weitem nicht aus. Zudem würden Clements 33 Vorschläge durch ständig neue Gesetze der rot-grünen Bundesregierung konterkariert. Beispielhaft dafür seien das geplante Gesetz zur Gemeindefinanzreform und die überaus komplexe Gesundheitsreform (an der aber auch Union, FDP und Grüne mitgewirkt haben). Beide Maßnahmen würden ein Wust an neuen Verordnungen nach sich ziehen, sagte Göhner. Um nicht bloß zu lamentieren, haben die Arbeitgeber und der "Gemeinschaftsausschusss der deutschen gewerblichen Wirtschaft" deshalb vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) ein Gutachten erstellen lassen, in dem 17 konkrete Vorschläge zum nachhaltigen Abbau der Bürokratie aufgelistet sind.Effizientere Verfahren sollen Misere beenden

Nach Ansicht der IW-Experten sollte die Mammutaufgabe auf drei Wegen erledigt werden: Durch "effizientere Verfahren", durch Anreize und Wettbewerb und durch "Mut zur Generalisierung". So könnten etwa dem Amtsschimmel Beine gemacht werden, indem Verordnungen künftig grundsätzlich befristet würden. Wichtig sei auch die Abschaffung von Mehrfachzuständigkeiten und Doppelbürokratien. Ferner müssten die Zwänge zur Statistik-Erhebung gelockert und vermehrt Pauschalbeträge statt Einzelabrechnungen eingeführt werden. Auch das deutsche Handwerk wehklagte am Dienstag bitter über das Monster Bürokratie. Eine Umfrage habe ergeben, dass Kleinunternehmen mehr als 4300 Euro pro Mitarbeiter für bürokratischen Ballast ausgeben müssten, sagte Generalsekretär Hanns-Eberhard Schleyer vor Journalisten in Berlin. Das sei fast das 40fache der Belastung von Großunternehmen. Die Regelungswut bis ins Detail zeige mitunter groteske Auswüchse: Schleyer nannte den Fall eines Fotografen, dem das Amt für Arbeitsschutz Fenster für die Dunkelkammer vorschreiben wollte, damit die Mitarbeiter genügend Licht bekommen. Auch IW-Direktor Gerhard Fels, der einen konsequenten Bürokratieabbau als beste Mittelstandspolitik bezeichnete, bemühte eine Anekdote zur Verdeutlichung des Problems: Als die Russen 1957 den ersten "Sputnik" starteten, sei der Leiter der US-Weltraumbehörde Wernher von Braun gefragt worden, wieso die Sowjets vor den Amerikanern ins All fliegen konnten. Von Braun habe auf "unsere Probleme Schwerkraft und Papierkrieg" hingewiesen und betont: "Mit der Schwerkraft wären wir fertig geworden…"

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