Gewerkschaften: Zündstoff nach Funkstille

BERLIN. Die Zeit des Schweigens ist vorbei: Nach gut zweimonatiger Funkstille war Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern wieder zu einem Treffen mit DGB-Chef Michael Sommer und den Spitzen der Branchengewerkschaften verabredet.

Was die Gewerkschaften derzeit am meisten umtreibt, fiel dem Kanzler schon beim Frühstück ins Auge: In überregionalen Tageszeitungen warben einige Hundert Betriebs- und Personalräte mit ihrem Namenszug für den Erhalt der Tarifautonomie. Das grundgesetzlich verbriefte Recht, die Lohn- und Arbeitsbedingungen ohne staatliche Eingriffe zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern auszuhandeln, war gestern nicht der einzige Konfliktstoff. Bereits im Frühjahr hatten die Gewerkschaften sich im Totalverriss der "Agenda 2010" geübt. Sommer & Co gingen auch diesmal hart zur Sache: Die bislang eingeleiteten Reformen brächten keine Jobs. "Was jetzt geschieht, ist schlicht und einfach Sozialabbau", empörte sich der DGB-Boss. Ganz oben auf der gewerkschaftlichen Wunschliste stand eine Zwangsabgabe für Unternehmen, die nicht ausbilden. Schröder sagte nach dem Treffen, falls sich das Angebot nicht rasch verbessere, seien gesetzliche Regelungen unumgänglich. Auch bei der Arbeitsmarktreform meldeten die Funktionäre Nachbesserungsbedarf an. So soll etwa der Kündigungsschutz für Behinderte in vollem Umfang beibehalten werden. Auch für Betriebe mit maximal fünf Festangestellten geht den Gewerkschaften die geplante Lockerung des Kündigungsschutzes zu weit. Die angepeilte Rente mit 67 gehört nach Auffassung der Gewerkschaften in den Papierkorb. Den meisten Zündstoff bot jedoch die Tarifautonomie. Nach einem Gesetzentwurf der Union sollen Unternehmen verstärkt vom Tarifvertrag abweichen dürfen, wenn Betriebsrat und Belegschaft mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Dieser ist nach Ansicht der Gewerkschaften jedoch mit einer nachhaltigen Schwächung ihrer Position verbunden. Schröder zufolge soll der Flächentarifvertrag grundsätzlich beibehalten werden. Er blieb aber bei seiner Ansicht, wonach die Tarifparteien mehr Öffnungsklauseln vereinbaren sollten. Sommer zeigte sich mit dem Verlauf des Treffens, jedoch nicht mit allen Ergebnissen zufrieden. Nach Schröders Angaben wurde vereinbart, die Gespräche mit der DGB-Spitze zum Thema Rente fortzusetzen.

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