Gute Nacht!

Trier · Bewusster Schlafentzug gilt als Foltermethode. Schlaflosigkeit hat eine ähnliche Wirkung. Ralf Schulze (45) musste das erleben und lernt gerade, wieder Ruhe zu finden.

Trier Als vor 20 Jahren seine Frau an einer Krebserkrankung starb, brach für Ralf Schulze eine Welt zusammen. Doch für lange Trauer war keine Zeit. "Für mich war es der Anfang des Weges in den Burn out", sagt der 45-jährige Malermeister aus der Eifel heute. "Ich hatte meine Frau zwei Jahre lang gepflegt, musste unsere Kinder versorgen. Da habe ich in der Nacht wachgelegen und voller Sorge gelauscht. Atmen sie noch?" Das neue Haus war abzuzahlen, dafür konnten die Tage gar nicht genug Arbeitsstunden haben. Noch weniger in der eigenen Malerfirma. "Die habe ich gegründet, um meine Schulden abzutragen."
Geschäftlich sei das damals gut gelaufen, sagt Ralf Schulze. "Aber alles an mir war überdreht. Und nachts konnte ich keinen Schlaf finden, weil ich darüber nachgegrübelt habe, ob ich nicht vielleicht doch ein Loch falsch in den Boden gebohrt habe."
Der kräftig gebaute Mann erzählt offen seine Geschichte von fast 20 Jahren der Schlaflosigkeit. Das sei schließlich nichts, was verborgen bleiben müsse. "Und vielleicht kann ich anderen Menschen dadurch helfen."
Wir sitzen in der gemütlich eingerichteten Praxis von Dr. Jobst Scherler. Im Rahmen seiner Schlafschule bietet der psychologische Psychotherapeut seit zehn Jahren regelmäßig Gruppen an für Menschen mit akuten Schlafproblemen. "Von diesem kurzen und strukturierten verhaltenstherapeutischen Programm könnten sogar gute Schläfer profitieren", ist Scherler überzeugt.
Und dann skizziert er das Einmaleins des guten Schlafes. So erfahren die Betroffenen zunächst Grundlegendes über den Schlaf. Zum Beispiel, dass nicht jeder Erwachsene acht Stunden Schlaf benötigt, und dass es völlig normal ist, in der Nacht mehrfach kurz zu erwachen. Die große Bedeutung des regelmäßigen Schlafes als Basis der Regeneration ist ein Thema, ebenso das Wissen vom besonders effektiven Schlaf in der Nacht.
"Hauptproblem ist meistens das lange Wachliegen in der Nacht. Dann beginnt das Nachdenken, der Körper reguliert hoch, und an Schlaf ist nicht zu denken. Nach einiger Zeit automatisiert sich das und wird mit dem Liegen im Bett in Verbindung gebracht. Dann sind es oft eher unwichtige Gedanken, die sich in der quälend wachen Zeit zu Problemen auswachsen."
Ralf Schulze kennt das und hat erst vor wenigen Wochen erfahren, wie er wieder Ruhe finden kann. Der Leidensdruck war davor aber noch einmal explodiert und hätte fast zur Katastrophe geführt: "Das mit der Firma lief prima", erinnert sich der Mann, der sich selbst als Perfektionist bezeichnet. "Neun Stunden bei den Kunden und danach noch die Schicht im hauseigenen Büro waren die Normalität." Auch im Privatleben lief es wieder gut. Wenn da nur nicht die Schlafprobleme gewesen wären.
"Nachts um 2 Uhr hat das Denken begonnen. Ich bin um 20 Uhr ins Bett oder vor dem Fernseher eingenickt. Rhythmus hatte ich keinen mehr." Ralf Schulze nahm das hin, er akzeptierte die Erschöpfung, die seit Jahren zu seinem Leben gehörte. Doch als vor drei Jahren seine zweite Frau plötzlich schwer erkrankte, folgte der körperliche Zusammenbruch. Nachdem er vorher zehn Jahre lang nicht beim Arzt gewesen war ("Mit der Schulmedizin stand ich seit dem Tod meiner ersten Frau auf dem Kriegsfuß."), kam er mit Lähmungserscheinungen in die Klinik. Diagnose: drei Bandscheibenvorfälle - kein Schlaganfall. "Meine Neurologin hat mir schließlich den Tipp gegeben, in die Schlafschule Trier zu gehen", erzählt der Mann aus der Eifel. "Diesen Schritt habe ich nicht bereut."
Therapeut Jobst Scherler erläutert, wie es gelingt, schon nach drei bis vier Wochen erste Fortschritte auf der Suche nach erholsamem Schlaf zu erzielen. "Wichtig ist dabei das Bewusstsein, dass nicht die Schlafdauer, sondern die Schlafqualität entscheidend ist."
Mit einem Schlaftagebuch wird in einem ersten Schritt ermittelt, wie lange im Durchschnitt die Schlafzeit und wie lange die Bettliegezeit ist. Daraus lässt sich die Schlafeffizienz errechnen. Ziel der Therapie ist es, bewusst und strikt ein Verhältnis von 85 Prozent Schlafzeit zu 100 Prozent Bettliegezeit in einem individuell festgelegten Zeitfenster einzuhalten. Die Patienten dürfen im Idealfall nur so lange im Bett bleiben, wie sie tatsächlich zum Schlafen benötigen. Dadurch verbinden sie den Schlaf wieder stärker mit ihrem Bett als Schlafstätte.
Der zweite Teil des Schlaftrainings konzentriert sich auf die Gedanken. "Denken ist eine Handlung, über die man bewusst entscheiden kann", sagt Scherler. "Denken oder schlafen, dazwischen muss ich mich entscheiden." Um das zu können, lernen die Patienten diverse Meditationsmethoden kennen.
Auch Ralf Schulze, der vor einem halben Jahr mit dem Programm gestartet ist, hat so gelernt, wieder erholsamen Schlaf zu finden, zumindest für sechs Stunden pro Nacht. "Man muss sich anfangs schon quälen, um vor der erlaubten Schlafphase wach zu bleiben", erinnert er sich. "Mittlerweile kann ich aber auch ganz bewusst entscheiden, meine Sorgen vor der Schlafzimmertür zu lassen." Damit das funktionierte, baute er allerdings sein Schlafzimmer um. "Ich habe dort jetzt keinen Strom mehr für Fernseher oder ähnliche Dinge."
Jobst Scherler ist von der "Kognitiven Verhaltenstherapie" als Mittel der ersten Wahl gegen Schlafstörungen überzeugt. "Kontrolliert und vorübergehend können Schlafmittel sinnvoll sein", sagt er. "Langfristig können sie jedoch abhängig machen und die Schlafprobleme verstärken."

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