"Ich bin hier für alle der Paul"

Wo man arbeitet, da ist man Zuhause. Doch wo man geboren ist, da befindet sich die Heimat. Meine Heimat ist Trier. 1988, als ich noch Spieler in Osnabrück war, hatte ich mehrere Angebote. Ich war 32 Jahre alt und hätte auch noch weiter spielen können. Doch als ich gefragt wurde, ob ich als Trainer nach Trier käme, konnte ich einfach nicht Nein sagen. Ich wollte in meine Heimat zurück. In der Heimat zu arbeiten, ist etwas ganz Besonderes, dort will man was beweisen. Ähnlich ging es mir im Herbst 1999. Ich wartete auf Angebote aus der 2. Liga. Drei Angebote aus der Regionalliga hatte ich schon abgelehnt, weil ich höherklassig weitermachen wollte. Da klingelte das Telefon, und am Apparat war Werner Kartz, damals Geschäftsführer bei Eintracht Trier, dem Fußballverein meiner Heimatstadt. Der Regionalligist befand sich im Insolvenzverfahren und war auf Trainersuche, nachdem Peter Vollmann die Brocken hingeworfen hatte. Es reizte mich, in meiner Heimatstadt zu beweisen, dass ich es besser kann als in der Saison 1988/89, als ich in Trier als Trainer entlassen wurde. Andererseits sagte mir mein Verstand, dass ich es nicht machen sollte - es würde schwer werden bei einem Verein, der kurz vor der Insolvenz stand. Ich sagte zu meiner Frau Helga: "Ich fahre mal nach Trier, aber ich mache das nicht." Sie antwortete: "Du machst es ja doch." Und sie behielt Recht. Am Anfang habe ich gesagt: "Ich bleibe drei Monate bis zur Winterpause und helfe euch über das Gröbste hinweg." Aber mittendrin aufgeben konnte ich nicht. Das galt auch nach dem knapp verpassten Aufstieg 2002 oder in der Vorrunde dieser Saison, als wir zehn Spiele lang ohne Sieg blieben und auf dem letzten Tabellenplatz standen. Die Eintracht ist eben mein Verein, für sie werde ich alles tun. Wenn es einmal nicht so läuft, zeige ich noch mehr Emotionen und rege mich noch mehr auf - vielleicht müsste ich manchmal cooler sein. Durch meinen Job kennen mich viele Trierer - und ich kenne viele noch von früher, schließlich habe ich während meiner gesamten Jugend für die Eintracht gespielt. Das hat viele Vorteile. Die Leute wissen, dass ich 100-prozentig hinter meiner Aufgabe stehe. Es gibt kaum Trierer, die mich mit "Sie" anreden. Ich bin hier für alle der "Paul" - selbst Kinder sprechen mich so an, wenn sie ein Autogramm von mir wollen. Das stört mich aber nicht - im Gegenteil. Ich habe zu den Spielern aus der Region eine ganz andere Beziehung und will, dass wieder einheimische Spieler in der ersten Mannschaft spielen. Zudem kenne ich das Umfeld des Vereins und viele Strömungen: Ich kann die Menschen einschätzen und weiß, wer was sagt. Ich weiß, auf welche Mitstreiter im Verein ich mich verlassen kann: Mit Dieter Lüders, unserem Geschäftsführer, habe ich schon in der D-Jugend zusammen gespielt. Unser Vize-Präsident Alfons Jochem war schon Spieler unter mir. Es gibt aber auch Nachteile. Jeder meint, er muss mir erzählen, wie ich was zu machen habe. Das würden sich viele Menschen bei einem fremden Trainer nicht trauen. Wenn es nicht so gut läuft, wird meine Familie mit einbezogen: meine Frau, meine Kinder, meine Eltern und meine Verwandten. Meine Mutter ist zum Beispiel gar nicht mehr ins Stadion gekommen, als es in der Vorrunde schlecht lief. Deshalb ist es mir auch wichtig, was die Leute von mir denken und was sie über mich sagen. Man will in seiner Heimatstadt natürlich "Wer sein" und hat es manchmal auch schwerer, als wenn man in einer anderen Stadt arbeitet. Es heißt ja auch: "Der Prophet gilt im eigenen Land nichts." Diesen Spruch habe ich, glaube ich, widerlegt und gezeigt, dass auch ein Trierer hier Erfolg haben kann. Inzwischen bin ich seit viereinhalb Jahren hier! Ich habe keine Minute bereut. Und ich bin noch lange nicht fertig. Mein Traum, mein großes Ziel ist es, aus Trier eine richtige Fußballstadt zu machen. Erst dann denke ich vielleicht mal über einen neuen Verein nach! Mein schönstes Erlebnis war die Aufstiegsfeier vor der Porta Nigra. Ich bin auch schon als Spieler mit Mannheim und Osnabrück aufgestiegen, aber das war anders. Der Aufstieg mit der Eintracht, nachdem ich die Mannschaft in so einer Situation übernommen hatte, war ergreifend. So ein Gefühl erlebt man nur in seiner Heimatstadt. Die letzten Jahre haben mich viel Kraft und Nerven gekostet. Aber diesen Moment vor der Porta nimmt mir keiner mehr - egal, was passiert. Protokolliert von Stefan Strohmund Inge Kreutz

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