Kluften statt Blöcke

OTZENHAUSEN. Spätestens der Irak-Krieg hat es zu Tage gebracht: Mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist es nicht weit her, und in der Nato und den transatlantischen Beziehungen kriselt es gleichermaßen. Wie sieht vor diesem Hintergrund die Zukunft aus? Um diese Frage drehte sich eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion in Otzenhausen.

Nichts ist mehr wie es war, seit 1989 mit der Berliner Mauer die Aufteilung der Welt in zwei Blöcke kippte. "Haben wir eine neue Weltordnung oder eine neue Weltunordnung?" Mit dieser Frage brachte Professor Ayad Nabil auf den Punkt, worüber sich 50 Fachleute aus 13 Ländern von Freitag bis Sonntag bei einer Veranstaltung des Sozialwissenschaftlischen Forschungsinstituts (SFI), der Saarbrücker Union Stiftung und der Asko Europa-Stiftung in der Europäischen Akademie im saarländischen Otzenhausen den Kopf zerbrachen. Im Zentrum stand die Zukunft der Nato und der EU. Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion unter Leitung von SFI- und Akademie-Chef Professor Heiner Timmermann. Neben Nabil, der an der Londoner University of Westminster Diplomaten ausbildet, sprachen der ehemalige US-Militärattaché Jack Hoschouer, der Kölner Wissenschaftler Peter Danylow und der sowjetische Ex-General Professor Sergeij Kondraschow. Danylow griff Nabils Frage auf. Es sei bisher kein Ersatz gefunden "für das im Nachhinein relativ erträgliche Gegeneinander zweier Blöcke". Europa müsse noch seinen Platz finden in der sich abzeichnenden neuen Weltordnung. In den 90er Jahren habe sich die EU nicht als Ordnungsmacht verstanden; inzwischen versuche sie, auf die Herausforderungen zu reagieren. Streit um EU-Außenpolitik

Danylow kritisierte die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (Gasp): Sie komme "mit lautem Gebrüll" daher, doch ihr Apparat sei nicht in der Lage, "die Außenpolitik eines 450-Millionen-Volkes" zu steuern, und auch ihre militärischen Mittel seien unter-entwickelt. Er sieht die EU vor dem Gipfel in Thessaloniki vor der Entscheidung über eine künftige gemeinsame Verteidigungspolitik, darüber, ob sich die EU "strategisch aufbauen" wolle. Die Gasp sorgte für Zündstoff: Muss sie von sämtlichen EU-Staaten mitgetragen werden, oder ist - wie beim Euro - ein "Kerneuropa" denkbar? Während etwa Danylow für letztere Option plädierte, falls keine Einigkeit zu erzielen sei, wehrte sich Tagungsteilnehmer Kzysztof Miszczak vom polnischen Außenministerium heftig gegen "solche á-la-carte-Geschichten". Europa sei nur stark, wenn alle zusammenarbeiteten. Ex-US-Militärattaché Hoschouer stellte die transatlantischen Beziehungen in den Vordergrund. Seine These: Die Zwietracht zwischen den USA und einem Teil Europas hat tiefere Gründe als den Irak-Krieg. "Die Machtspalte ist so groß, dass die Amerikaner keinen Grund sehen, mit den Europäern zusammenarbeiten zu müssen." Diesseits des Atlantiks trage man aber eine gehörige Portion Mitschuld an den Auseinandersetzungen: "Die Welt ist nicht so, wie die Europäer sie gerne hätten: dass alle friedlich miteinander umgehen und der Diktator von nebenan plötzlich versteht, dass er auf dem falschen Weg ist." Auch Diplomatie-Lehrer Nabil beschrieb neben der Macht- eine ideologische Kluft zwischen den USA und der EU: "Europa will keine US-Vorherrschaft. Und zum anderen gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen darüber, wer wen bedroht und wie man vorgeht - etwa, ob es Alleingänge geben darf." Für Danylow besteht der wesentliche Unterschied zwischen USA und EU darin, dass die Europäer die Rolle der Vereinten Nationen (UN) festschreiben wollten. "Die USA müssen sich fragen, ob sie wirklich auf die UN verzichten möchten. Wenn ja, verzichten sie auch auf ein universell gültiges Völkerrecht." Zum anderen kritisierte er, es fehle an Konzepten, Regionen dauerhaft zu befrieden und Protektorate sinnvoll zu beenden. So hätten die Kriege etwa in Afghanistan oder im Irak bisher nicht zum Frieden geführt. Wie genau werden sie nun aussehen, die internationalen Beziehungen der Zukunft? Konkrete Antworten auf diese Frage gab es in Otzenhausen nicht. "Klare Prophezeiungen", erklärte Danylow, "sind ausgesprochen schwierig."

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