"Köhler wird nicht Nein sagen"

BERLIN. Durch die Vertrauensfrage ist jetzt der Weg für Neuwahlen frei, vorausgesetzt, der Bundespräsident löst den Bundestag auf. Darüber und über mögliche Klagen vor dem Verfassungsgericht sprach unsere Zeitung mit Staatsrechtler Christian Hillgruber von der Uni Bonn.

Hat der Bundeskanzler gestern glaubwürdig belegt, dass er sich des Vertrauens und seiner politischen Mehrheit im Bundestag, also seiner vollen Handlungsfähigkeit, nicht mehr sicher sein kann? Hillgruber: Ich denke, dass Gerhard Schröder das letztlich gelungen ist. In seiner Begründung hat er gesagt, dass er unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr auf das notwendige, das stetige Vertrauen der Parlamentsmehrheit rechnen könne. Er hat darauf hingewiesen, dass die Agenda 2010 in seiner Partei und auch in der SPD-Bundestagsfraktion heftige Debatten ausgelöst hat und dass mehrere Abgeordnete ein abweichendes Stimmverhalten angedroht beziehungsweise angekündigt haben. Er hat erklärt, dass er deshalb für die Zukunft nicht mehr sicher ist, ausreichende Parlamentsmehrheiten hinter sich scharen zu können. Wenn man die eigenen Leute anstiftet, nicht für einen zu stimmen, damit das gewollte Neuwahl-Verfahren in Gang kommt, ist das nicht perfide Verfassungstrickserei? Hillgruber: Es war eine Inszenierung, daran besteht gar kein Zweifel. Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil von 1983 aber gesagt, dass sie zulässig sein kann, wenn vor einer inszenierten Vertrauensfrage eine instabile politische Lage vorhanden ist, beziehungsweise der Kanzler diese so sieht. Jetzt ist auch die Verfahrenstechnik selbst nicht mehr die entscheidende Frage. Entscheidend ist allein, ob eine parlamentarische Instabilität besteht. Schröder hat sie für sich in der Zukunft prognostiziert. Das wird man akzeptieren müssen. Brauchen wir eine Verfassungsänderung, die dem Bundestag die Möglichkeit der Selbstauflösung einräumt? Hillgruber: Es sollte ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments in das Grundgesetz aufgenommen werden. Das wäre der saubere verfassungsrechtliche Weg. Abgesichert durch eine Zweidrittelmehrheit, wäre dann auch sichergestellt, das eine die Regierung tragende Parlamentsmehrheit sich nicht willkürlich einen ihr günstig erscheinenden Wahltermin aussuchen kann. Dieser Weg wäre auch keine Entmachtung des Bundespräsidenten, wie das einige behaupten. Einige Politiker und kleinere Parteien haben angekündigt, dass sie beim Verfassungsgericht in Karlsruhe Organklage einreichen wollen, sollte Köhler Neuwahlen anordnen. Räumen Sie solchen Klagen Chancen ein?Hillgruber: Klagen von gewählten Parlamentariern sind in jedem Fall zulässig. Nach dem gestrigen Auftritt des Bundeskanzlers und seiner Argumentation würde ich die Prognose wagen, dass auch das Verfassungsgericht sich einer Neuwahlen nicht in den Weg stellt.

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