"Krönung" bei Tee und Schnittchen

Berlin. Mit einer demonstrativ einmütigen Nominierung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zur ersten Kanzlerkandidatin in Deutschland hat die Union den Kampf um den Machtwechsel aufgenommen.

Es ist 10.46 Uhr an diesem nicht nur für die Union historischen Montagmorgen. Es gibt Kaffee, Tee, Frühstückssäfte, Schnittchen und Obstspieße in der ersten Etage des Konrad-Adenauer-Hauses, wo die Präsidien von CDU und CSU bereits seit einer dreiviertel Stunde in lockerer und gelöster Stimmung tagen. Edmund Stoiber ergreift also zur besagten Uhrzeit das Wort: "Ich bin der Überzeugung", sagt der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef salbungsvoll, "dass Angela Merkel die Union in die Bundestagswahl führen soll". Endlich ist es raus. Sofort brandet Applaus auf, die Präsidien der Schwesterparteien hieven die CDU-Vorsitzende mit lang anhaltendem Beifall auf den Thron der Kanzlerkandidatin. Die so Gekürte lächelt still und demütig vor sich hin, sie weiß, dass sie nun Geschichte schreibt: Erstmals strebt in der Bundesrepublik Deutschland eine Frau das mächtigste Amt im Staate an. Ihre wichtigsten Worte werden später vor jubelnden Parteifreunden sein: "Ich will Deutschland dienen." Jede Kandidatenkür hat ihre eigene Geschichte mit einem besonderen Ereignis, bei dem Ungesagtes schließlich ausgesprochen wird. 2002, im Januar, war es das mittlerweile berühmte Frühstück in Wolfratshausen, Stoibers Heimatort, wo die Ostdeutsche dem selbstbewussten Bayern die Kanzlerkandidatur zähneknirschend anbietet und überlässt. Diesmal ist das Frühstück ein Abendessen, das vielleicht in die Geschichtsbücher eingehen wird: Es ist der Donnerstagabend der vergangenen Woche, an dem sich Merkel von den Medien unbemerkt in die Berliner Landesvertretung des Freistaates begibt. Dort wartet unter der blau-weißen Fahne Edmund Stoiber mit einem schmackhaften Mahl. Sie geht also zu ihm, nicht er zu ihr – Merkel zollt dem Bayern mit dieser Geste noch einmal symbolisch ihren Respekt. "Stabübergabe", wird das Ereignis von ihren Getreuen anschließend genannt. Schnell wird bei diesem "ausführlichen Gespräch" die Antwort auf die K-Frage ausgesprochen, "Stoiber hat es von sich aus angeboten", ist aus seinem Umfeld zu hören. Beim diesem historischen Essen soll auch darüber geredet worden sein, wo er selbst seine Zukunft sieht – in Bayern oder als Superminister in Berlin. Offiziell will er sich erst nach der Bundestagswahl im Herbst entscheiden. Ein Wechsel in die Hauptstadt ist nach einem Wahlsieg aber beschlossene Sache, sagen Vertraute. Im Konrad-Adenauer-Haus drängeln sich die Anhänger, Mitarbeiter und Bundestagsabgeordnete wie an einem erfolgreichen Wahlabend. Niemand will den historischen Augenblick verpassen, an dem die Union die erste Kanzlerkandidatin Deutschlands ausruft. Der Einmarsch der beiden Parteivorsitzenden wird mit donnerndem und rhythmischen Applaus begleitet und Stoiber sagt: "Angela Merkel hat das volle Vertrauen und die volle Unterstützung von CDU und CSU."

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