"Landesinteressen gehen immer vor"

Der Bundesrat entscheidet am Freitag über das umstrittene Wachstumsbeschleunigungsgesetz der Regierung. Ist es legitim, wenn sich Länder vom Bund die Zustimmung abkaufen lassen? Das Verfahren ist nicht neu.

 Als Regierender Bürgermeister Berlins hatte Eberhard Diepgen nach eigenem Bekunden Landesinteressen vor Parteiinteressen gestellt. Foto: TV-Archiv

Als Regierender Bürgermeister Berlins hatte Eberhard Diepgen nach eigenem Bekunden Landesinteressen vor Parteiinteressen gestellt. Foto: TV-Archiv

Berlin. (has) Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) erinnert sich und erklärt, warum er vor neun Jahren der Verlockung des Geldes nicht widerstehen konnte. Mit ihm sprach unser Berliner Korrespondent Hagen Strauß.

Herr Diepgen, im Juli 2000 galten Sie als Unions-Deserteur, weil Sie sich von Kanzler Schröder das Ja zur rot-grünen Steuerreform abkaufen ließen. Stimmt das?

Eberhard Diepgen: Es ist etwas komplizierter. Die Steuerreform von Schröder hatte bereits eine Mehrheit durch die Zustimmung der Großen Koalitionen von Bremen und Brandenburg. Außerdem hatte Rainer Brüderle nach dem Versprechen einer mittelstandsfreundlichen Ergänzung der Regierungsvorlage eine Zustimmung durch das FDP/SPD-regierte Rheinland-Pfalz signalisiert. Schröder wollte aber zusätzlich die Zustimmung Berlins, und ich habe das für Finanzierungszusagen der Bundesregierung genutzt. Es ging unter anderem um den Ausbau des bundeseigenen Olympiastadions und die Investitionen für die Berliner Museumsinsel und damit um lange umstrittene Forderungen, bei denen wir den Bund in einer rechtlichen und politischen Pflicht sahen. Die von Brüderle ausgehandelte Mittelstandskomponente war zudem auch eine Forderung Berlins.

Sie sind CDU-Chefin Merkel in den Rücken gefallen, die sich auf die Unionsfront verlassen hatte.

Diepgen: Nein, bei Partei- und Fraktionsspitze der CDU gab es eine trotzige politische Fehleinschätzung. Die Abstimmung im Bundesrat war verloren. Ich habe die CDU-Spitze vergeblich darauf hingewiesen und in einer nächtlichen Vorbesprechung geraten, die von Herrn Brüderle verhandelten mittelstandsfreundlichen Ergänzungsabsichten als Teilerfolg auf die eigenen Fahnen zu schreiben. Meine abschließende Verabredung mit Schröder erfolgte übrigens erst sehr viel spät. Der Bundesrat hatte mit seiner Sitzung schon begonnen.

Hat Schröder seine Zusagen eingehalten?

Diepgen: Ja. Es gab auch eine schriftliche Bestätigung. Ich hatte aus schlechten Erfahrungen mit verschiedenen Bundesregierungen gelernt.

Ist das Herauskaufen von Ländern denn legitim? Das wird ja derzeit mit Blick auf das Steuerpaket der Regierung diskutiert.

Diepgen: Einzelabsprachen dürfen nicht zu einer neuen Form des Bund-Länder-Finanzausgleiches werden. Richtig ist aber auch: Landesregierungen verstoßen gegen ihre Pflichten, wenn sie sich nur der Parteiraison beugen. Soll heißen: Landesinteressen gehen immer vor Parteiinteressen. Und richtig ist weiterhin, dass Länder von Vorhaben des Bundes unterschiedlich betroffen werden können. Dann kann ein Land auch einen besonderen Ausgleich einfordern. Der Begriff Herauskaufen ist überspitzt und polemisch.

Schwingt da Sympathie für den Schleswig-Holsteiner und CDU-Mann Carstensen mit, der Front gegen das Paket gemacht hat?

Diepgen: Ja. Allerdings geht es aktuell nicht nur um Probleme Schleswig-Holsteins.

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