Mehr Soldaten braucht das Land

So intensiv wie jetzt wurde nur 2001 über den Afghanistan-Einsatz diskutiert, als Kanzler Gerhard Schröder die "uneingeschränkte Solidarität" mit Amerika durchsetzte. Erst das Drama um die entführten Ingenieure und Anschläge hat gezeigt, wie gefährlich die Mission ist.

Berlin. Zwar kam die groß angekündigte Frühjahrsoffensive der Taliban nicht weit. Doch zielen die Aufständischen jetzt auf die wackelige politische Heimatfront der Ausländer. Mit öffentlichkeitswirksamen Attacken wollen sie die im Oktober anstehende Bundestagsentscheidung über die Verlängerung der drei Einsatz-Mandate beeinflussen. Die Diskussionen in Berlin verfolgen sie genau und reagieren darauf "erstaunlich schnell", stellte das Auswärtige Amt fest. So hängten sie sich als Trittbrettfahrer an die Entführung der Ingenieure und forderten den Abzug der Bundeswehr. In den Parteien aber hat sich der Wind gegen eine solche Lösung gedreht. Beim internationalen Sicherheits- und Aufbaueinsatz Isaf, an dem die Deutschen mit 3000 Soldaten im Norden Afghanistans beteiligt sind, gibt es von Union über SPD und FDP bis zu den Grünen eine deutliche Mehrheit für eine Fortsetzung, inklusive der Tornado-Flüge.Stimmen mehren sich, Isaf auszuweiten

Allen ist klar, dass ein schneller Abzug Chaos bedeuten würde. Oder, wie Isaf-Kommandeur McNeill sagte: "Wenn wir nicht nach Afghanistan gehen, wird Afghanistan zu uns kommen". Nur die Linke bleibt gegen alle Einsätze. Inzwischen mehren sich sogar die Stimmen, Isaf auszuweiten. Außenminister Steinmeier hatte auf die mangelhafte Ausbildung der örtlichen Sicherheitskräfte aufmerksam gemacht. 85 000 Mann sollten die afghanischen Streitkräfte bis 2010 umfassen; erst 30 000 sind es. Nun zeichnet sich ab, dass Deutschland mehr Ausbilder schicken wird. So könnte Berlin den Forderungen der Verbündeten, das Engagement zu verstärken, nachkommen. Vor allem aber bietet eine schlagkräftige afghanische Armee eine Perspektive für eine Beendigung des Einsatzes. Die zweite Ebene ist die Verstärkung des zivilen Aufbaus und die bessere Koordination zwischen Militärs und Entwicklungshelfern. Kanzlerin Angela Merkel traf sich dazu gestern mit dem UN-Sondergesandten Tom Koenigs. Koenigs bestärkte Merkel: Der Rechtsstaat müsse durchgesetzt werden, notfalls mit militärischen Mitteln. Das deutsche Engagement müsse bleiben. Die Äußerungen waren bemerkenswert, vor allem für die Grünen, die im September auf Druck von Teilen ihrer Basis einen Sonderparteitag durchführen. Immerhin ist Koenigs Grüner und gehörte mit Joschka Fischer früher der Frankfurter "Putzgruppe" an. Umstrittener ist die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF), dem von den Amerikanern geführten Kampfeinsatz gegen El-Kaida. Real wurden die hundert deutschen Elitesoldaten, die hierfür bereit stehen, schon seit zwei Jahren nicht mehr angefordert. Grüne und Teile der SPD bemängeln aber, dass OEF auch wegen der vielen zivilen Opfer die anderen Einsätze konterkariere; zudem müsse der Zustand der Selbstverteidigung sechs Jahre nach den Anschlägen von New York einem geordneten Vorgehen weichen. OEF war allerdings Kern der von Schröder zugesagten "uneingeschränkten Solidarität". Steinmeier warnte, der politische Preis für einen Ausstieg sei "sehr hoch". Die Koalitionsspitzen wollen deshalb an allen drei Mandaten festhalten und werden dafür voraussichtlich auch bei OEF eine, wenn auch knappere, Mehrheit bekommen. Deutsche Geisel Entgegen Äußerungen der Taliban geht es der deutschen Geisel in Afghanistan nach Informationen der ARD "den Umständen entsprechend gut". Das ARD-Hörfunkstudio in Kabul berichtete, der Mann werde am siebten Tag der Geiselnahme nach Fußmärschen offenbar schwächer. Es gebe regelmäßig Kontakt zu ihm. Der deutsche Ingenieur, mindestens vier afghanische Kollegen und die Entführer seien in den Bergen der südöstlichen Provinz Ghasni. Sie bewegten sich nur noch selten und kurze Strecken zu Fuß auf etwa 3000 Metern Höhe.

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