Merkel moderiert bislang nur

Berlin · Die Jamaika-Sondierer definieren am Ende zweieinhalbwöchiger Gespräche 125 strittige Punkte. Die Kanzlerin lässt die Dinge laufen und hebt sich Kompromisse für den Schluss auf.

Berlin Seit zweieinhalb Wochen sondieren die "Jamaika-Partner" CDU, CSU, FDP und Grüne - und sind kaum weitergekommen. Immerhin wissen sie jetzt, worin sie sich nicht einig sind. Es sind 125 Punkte. Genauso lang ist eine Liste offener Fragen, die in einer Spitzenrunde am Montagabend erarbeitet wurde. Kanzlerin Angela Merkel hat zur Kompromissfindung bisher wenig beigetragen.

Das Papier mit der Überschrift "Stichpunkte der jeweiligen Partner, noch keine Einigungen", das unserer Redaktion vorliegt, wurde von den Parteichefs erarbeitet und Dienstagvormittag endgültig formuliert. Es wurde den Fachpolitikern der Parteien zur weiteren Beratung übergeben. Zum "Eindampfen", wie es heißt. Im Bildungsbereich einigten sich die Experten schon weitgehend und ließen nur die Aufhebung des Kooperationsverbotes im Grundgesetz offen. In anderen Feldern geht es nicht so flott voran.

Deswegen wird erwartet, dass etliche der 125 Punkte noch ungeklärt sein werden, wenn sich die sogenannte "kleine Runde" heute früh trifft. Wahrscheinlich werden der Kohleausstieg, das Flüchtlingsthema, die Agrarpolitik sowie der Solidaritätszuschlag zu den letzten offenen Punkten gehören. Am Ende werden wohl die Chefs Kompromisse finden müssen. Angepeilt ist hierfür nächste Woche Donnerstag. Dann wird sich entscheiden, ob die Aufnahme förmlicher Koalitionsverhandlungen überhaupt Sinn macht.

Angesichts der großen Schwierigkeiten beim Zustandekommen des Jamaika-Bündnisses erstaunt die Zurückhaltung von Angela Merkel, die doch von der neuen Koalition wieder zur Kanzlerin gewählt werden will. Dass die CDU-Chefin öffentlich kaum etwas sagt, ist dabei noch am leichtesten zu erklären. Es gibt schon genug Beteiligte, die mit Statements die Stimmung vergiften, etwa Jürgen Trittin von den Grünen oder Alexander Dobrindt von der CSU. Merkel selbst hat sich nur einmal vor der Presse geäußert, Ende letzter Woche, als sie sagte: "Ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen."

Es verwundert aber, dass sich die Kanzlerin auch in den vertraulichen Runden komplett auf die Rolle der Sitzungsleiterin zurückzieht und lediglich das Wort erteilt. Allenfalls bügelt sie gelegentlich aufkommende Missstimmungen aus und sorgt für ein angenehmes Gesprächsklima. Ihr gehe es in dieser Phase vor allem um Vertrauensbildung, heißt es in Unionskreisen. Überliefert ist etwa ihr in Richtung FDP gemünzter Satz: "Ich bin übrigens auch keine männermordende Machtmaschine!" Ansonsten aber lasse sie die Kontroversen laufen und höre so interessiert wie gelassen zu, wird berichtet.

Vor allem die kleinen Partner nervt diese Zurückhaltung zunehmend, denn nicht wenige der Probleme, mit denen die künftigen Koalitionäre zu tun haben, seien in Merkels Amtszeit entstanden, heißt es. Etwa das Verfehlen der Klimaziele, die Probleme der deutschen Autoindustrie oder das Nachhinken in der Bildung. Da dürfe man auch von der Kanzlerin Vorschläge erwarten. Doch da komme nichts. Auf der Unionsseite gebe es null Schuldbewusstsein, auch nicht angesichts des Einbruchs bei der Bundestagswahl.

Allerdings gehörte es schon immer zu den Fähigkeiten Merkels, Debatten erst einmal laufen zu lassen. Vieles klärt sich von allein, ist ihre Erfahrung. Und wo nicht, ist es besser, erst ganz am Ende aus der Deckung zu kommen, damit Kompromissvorschläge nicht sogleich zerredet werden. Merkel hält sich ihr Pulver für die letzten Runden trocken. So sie denn welches hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort