Mit Gehirn-Jogging gegen Demenz

Demenz ist nicht heilbar. Daraus zu schließen, dass man nichts gegen den schleichenden Verlust des Erinnerungsvermögens tun könnte, ist allerdings ein Irrtum. Mit einer bewussten Lebensweise lassen sich Risiken verringern, und mit Training kann man die Folgen spürbar abmildern.

 Geschicklichkeitsspiele sind ein gutes Training für Demenzkranke. TV-Foto: Friedemann Vetter

Geschicklichkeitsspiele sind ein gutes Training für Demenzkranke. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Ein bisschen ist es so wie früher in der Schule. Am Anfang wird gesungen, und dann wird Wissen abgefragt. Die Lehrerin sorgt dafür, dass alle konzentriert bei der Stange bleiben. Es gibt richtige und falsche Antworten, es wird viel gelobt, und am Ende der Stunde werden Hausaufgaben verteilt.

Freilich sind die "Schüler" hier zwischen 60 und 75 Jahren alt, und die "Lehrerin" ist eine ausgebildete Gedächtnistrainerin. Und es geht nicht um Unterricht, sondern darum, möglichst fit im Kopf zu bleiben.

Seit einem Jahr arbeitet die Gruppe im Trierer Demenzzentrum, und die Ergebnisse machen staunen. Die fünf Damen und der einzelne Herr sind ganz schön pfiffig. Etwa, wenn es darum geht, Berufe zu finden, die jeweils mit dem letzten Buchstaben des vorher genannten anfangen. Etliche R's sind schon verbraucht, aber Frau Stern (alle Namen geändert) hat noch einen Pfeil im Köcher: Da gibt's noch den "Rendanten". Heute würde man wohl Buchhalter sagen, aber die Antwort gilt. Frau Stern lächelt zufrieden. Das liefert Motivation für die nächste Runde, bei der es darum geht, knifflige Werkstatt-Geräusche zu identifizieren.

Auch wenn die Ansprüche hoch sind: Leistungsstress herrscht hier nicht. Darauf achtet Gedächtnistrainerin Karola Schenk-Köppen besonders. Kein Zeitdruck, kein Tadel, wenn jemand mal nicht weiter weiß. Aber das kommt erstaunlich selten vor. Nicht einmal bei den schwierigen Assoziations-Spielen. Was sich zum Papst so verhält wie der Sombrero zu einem mexikanischen Feldarbeiter? Herr Schulte kriegt's raus: Die Tiara ist es, die typische Kopfbedeckung für Päpste. Und dass mit dem Lehrling, der nicht richtig fegen kann, nicht der Stift oder der Azubi gemeint sind, sondern Goethes "Zauberlehrling", ist für die meisten hier auch kein Problem. Da hat mancher Jauch-Kandidat weniger Bildung zu bieten.

Dass viele aus der Runde im Alltag massive Probleme mit ihrem Erinnerungsvermögen und einfachsten Verrichtungen haben, würde man schwerlich ahnen. Obwohl es schon mal öfter vorkommt, dass irgendein Begriff oder Name auf der Zunge liegt, aber einfach nicht raus will. "Das ärgert einen maßlos", schimpft Frau Schneider. Aber sie meint es augenzwinkernd.

"Die gute Atmosphäre hier ist sehr wichtig", sagt Karola Schenk-Köppen. Sie achtet darauf, dass alle gefordert werden, aber niemand überfordert wird: "Viele freuen sich die ganze Woche auf diese Stunde".

Die studierte Sozialpädagogin, die zu jedem Treffen sorgfältig vorbereitete "Unterrichtseinheiten" mitbringt, beobachtet einen doppelten Effekt. Zum einen sind die Sinnesschulung und das Gehirn-Jogging in vielen Fällen ein gutes Mittel, um die Demenz-Folgen zu bremsen. "Wir können nichts verhindern, aber einiges verzögern", so lautet ihre Erkenntnis. Mindestens ebenso wichtig sei aber der Effekt fürs Gemüt: "Diese Art von Beschäftigung hilft auch gegen Traurigkeit und Depression".

Körperliche und geistige Betätigung, das bestätigt auch Professor Bernd Krönig, ist gerade im Vorfeld und der Frühphase einer Demenz-Erkrankung segensreich. Ein tägliches Bewegungsprogramm, gezielte geistige Inanspruchnahme, Vermeiden von Risikobeschleunigern wie Diabetes und Bluthochdruck: Das schließe Demenz nicht aus, könne aber in Verbindung mit Früherkennung und zeitiger medikamentöser Behandlung "den Betroffenen eine lange Zeit mit hoher Lebensqualität bescheren". An der Lebensqualität arbeitet auch Karola Schenk-Köppen. Sie leitet die Gruppe im Demenzzentrum Trier seit Jahren ehrenamtlich. Ähnliche Projekte gibt es, meist angekoppelt an Pflege- und Betreuungs-Angebote, überall in der Region.

Aber mit der Gruppen-Arbeit ist es nicht getan. Gedächtnis-Übungen, sagt Schenk-Köppen, könne man auch als einfache Übungen in den Alltag einbauen. Und das, so ihr entschiedenes Votum, "können nicht nur Demenzkranke brauchen, sondern jedermann". Wie das aussehen kann, sieht man am Ende der Gruppenstunde im Demenzzentrum. Als Hausaufgabe gibt es einen Zettel mit "Teekesselchen", jenem auch bei Kindern beliebten Spiel um Begriffe mit Doppel-Bedeutung. Die Sache ist freiwillig, aber trotzdem lässt niemand den Zettel liegen. Ein bisschen anders als in der Schule ist es also doch.

Morgen in unserer Serie: Wie Angehörige lernen, mit Demenz umzugehen.

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