Mutti kocht und macht die Wäsche

TRIER.Mami putzt, kocht und bügelt die karierten Polohemden - und der Sohn lässt es sich gut gehen. Junge Erwachsene bleiben manchmal lange bei ihren Eltern wohnen. Einige bezahlen die Bequemlichkeit mit dem hohen Preis der Selbstständigkeit - und werden oft zu einer großen Belastung für ihre Familien.

Thomas M. ist schon einMuttersöhnchen - zumindest würde ihn ein Außenstehender sobezeichnen. Schon während seiner Gymnasialzeit brachte ihn Mamimorgens zur Schule und holte ihn mittags wieder ab. Auch mitMitte zwanzig wohnt der Student noch zusammen mit ihr in einerkleinen Doppelhaushälfte - der Vater ist vor einigen Jahrenausgezogen. Die Freizeit verbringen die beiden meist gemeinsam.Und natürlich geht es auch im Urlaub nicht alleine weg.Selbstverständlich teilen sich Mutter und Sohn im Hotel einDoppelzimmer. M. versteht sich gut mit seiner Mutter - und auch sie ist stolz darauf, dass sie so ein gutes Verhältnis zu ihrem Sohn hat. Eine funktionierende Lebensform also? Nicht ganz, denn M. hat wichtige Entwicklungen des Erwachsen-Werdens verpasst.

Oft intensive Mutter-Tochter-Beziehung

Normalerweise distanzieren sich Kinder im Teenager-Alter von ihren Eltern. "Eine der Entwicklungs-Aufgaben des Jugendalters ist es, Autonomie von den Eltern zu finden und sich gleichzeitig mit ihnen verbunden zu fühlen", sagt Sigrun-Heide Filipp, Psychologie-Professorin an der Universität Trier. M. hält sie für einen seltenen Fall. "Die meisten wohnen aus pragmatischen Gründen zu Hause, das ist halt billiger", sagt die Forscherin. "Dass die emotionale Ablösung nicht funktioniert, ist sehr selten." Am häufigsten komme dies bei Mädchen vor. "Die Mutter-Tochter-Beziehung ist halt am intensivsten", erklärt sie.

Aus rein praktischen Gründen lebt Christoph W. mit seinen Eltern unter einem Dach. In dem Haus in einem Vorort von Trier hat er eine eigene Wohnung. Während seines Studiums wohnte der Soziologe in zwei Wohngemeinschaften, zog aber vor seinen Abschlussprüfungen wieder bei den Eltern ein. "Die Wohnung war frei und würde sonst leer stehen", sagt er. "Meine Eltern haben keine Lust zu vermieten. Da wäre es wirklich unsinnig, wenn ich mir eine Wohnung in der Stadt nehmen würde."

Seinen Lebensunterhalt verdient W. selbst - und zahlt seinen Eltern Miete. "Ich bekomme die Wohnung aber günstig", sagt er. Vater und Mutter sieht W. nicht besonders oft. "Zwei, vielleicht drei Mal pro Woche", schätzt er. Diemeisten Einkäufe erledigt der Soziologe selbst. "Wir teilen uns nur Sachen, die man besser in großen Mengen kauft, etwa Kartoffeln", sagt W. Außerdem benutze er die Waschmaschine seiner Eltern mit.

Mit dem Gedanken an Auszug hat W. schon öfter gespielt. "Ich will nicht unbedingt im Haus bleiben, das nervt eher", meint er. "Ich bin jetzt über 30 Jahre alt und meine Eltern bekommen mit, wie ich lebe und welchen Besuch ich bekomme. Das hat für mich zwar keine Konsequenzen, muss aber nicht sein."

Häufig sind es gar nicht die Kinder, die unbedingt zuhause wohnen bleiben wollen. "Dass Mütter gerne klammern und festhalten, weiß man ja", meint Filipp. Besonders typisch ist das für die Mütter, die selbst in der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit aufgewachsen sind und ihr Leben ganz der Familie verschrieben haben. Filipp: "Mütter klammern um so mehr, je weniger eigene Lebensbereiche sie sich aufgebaut haben."

Damit es Kindern leichter fällt, sich zu lösen, rät die Psychologin Eltern, Selbstständigkeit und Autonomie bei ihren Kindern zu unterstützen. "Oft wird das nicht belohnt", meint Filipp. "Eltern sollten Abgrenzungsprozesse ihrer Kinder aber akzeptieren und fördern."

Familienleben bis 30 genossen

Endlich bei den Eltern ausgezogen ist Michael F. Vor rund einem Jahr verließ er mit 30 Jahren das wohl behütete Haus. "Es war einfach Zeit", sagt der Programmierer. "Meine Mutter wollte, dass ich bleibe, aber ich wollte nicht mehr." Mit den Eltern habe er ein ganz normales Familienleben geführt, die Mutter habe für alle gekocht und sich um die Wäsche gekümmert. Jetzt geht F. in den Waschsalon und macht sich sein Essen selbst. "Meine Eltern sehe ich jetzt höchstens einmal die Woche", sagt er. "Ich trauere dem Familienleben nicht hinterher, es war eine kluge Entscheidung, auszuziehen."

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