Neue Diskussion um alte Idee

BERLIN. Die Not der öffentlichen Haushälter steigt - und damit ihr Ideenreichtum: Jetzt wird auch über eine Abschaffung der Steuerfreiheit für Schichtzuschläge diskutiert.

Das Konzept war revolutionär: Der Eingangssteuersatz betrug nur noch 15 Prozent, der Spitzensteuersatz 39 Prozent. Im Gegenzug sollten allerdings Steuervergünstigungen im Wert von knapp 27 Milliarden Euro gestrichen werden. Was sich Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) und seine christlich-liberale Koalition vor sechs Jahren ausgedacht hatten, scheiterte schließlich an der sozialdemokratischen Übermacht im Bundesrat. Ein Hauptargument der Genossen damals: Die Steuerreform sei schon deshalb unsozial, weil Schwarz-Gelb die Steuerfreiheit für Feiertags- und Nachtarbeit antasten wolle. Lange Zeit schien dieser Standpunkt bei der SPD wie in Stein gemeißelt. Doch nach der ideologischen Kehrtwende in der Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik denken führende Sozialdemokraten mittlerweile auch über das Undenkbare im Steuerwesen nach: Die Streichung der fiskalischen Sonderbehandlung von Feiertags- und Nachtzuschlägen müsse "auf jeden Fall" diskutiert werden, befand Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit gestern in einem Zeitungsinterview.Angst vor neuem Kriegsschauplatz

Der niedersächsische Fraktionschef Sigmar Gabriel pflichtete ihm sofort bei. Wenige Tage zuvor hatte schon der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück einen ähnlichen Vor-stoß unternommen: "Wir müssen den gesamten Katalog direkter Finanzhilfen und steuerlicher Subventionen durchgehen." Die Bundesregierung praktiziert das in regelmäßigen Abständen. Allerdings nur auf dem Papier. In ihrem jüngsten Subventionsbericht rangiert die Steuerbefreiung für Feiertags- und Nachtarbeit immerhin auf Rang vier der 20 größten fiskalischen Vergünstigungen. Im Vorjahr gingen der öffentlichen Hand dadurch immerhin rund zwei Milliarden Euro verloren. Allein für den Bund belief sich der Steuerverlust auf 694 Millionen Euro. Zu Konsequenzen mochte sich die rot-grüne Koalition aber nicht durchringen. In ihrem (inzwischen gescheiterten) Steuersubventionsabbaugesetz suchte man den Posten Feiertags- und Nachtzuschläge vergebens. Die jüngste Diskussion kommt der Regierung zweifellos ungelegen. Schließlich sind die Gewerkschaften schon wegen der "Agenda 2010" auf der Palme. Da braucht es nicht noch einen weiteren Kriegsschauplatz. "Aus Respekt vor der schweren Arbeit" blieben die Vergünstigungen für Nacht- und Feiertagsjobs erhalten, suchte SPD-Generalsekretär Olaf Scholz gestern Entwarnung zu geben.Sozialer Sprengstoff

Das letzte Wort ist damit allerdings noch nicht gesprochen. Denn auch beim grünen Koalitionspartner gibt es Bestrebungen, den Subventionen zu Leibe zu rücken. "Die Frage ist, ob man eine Auswahl trifft oder die Rasenmäher-Methode verfolgt", meinte die Haushaltspolitische Sprecherin, Antje Hermenau, gegenüber unserer Zeitung. Im letzteren Fall wären nach ihrer Auffassung auch die Feiertags- und Nachtzuschläge betroffen. NRW-Regierungschef Steinbrück hatte sich gemeinsam mit seinem CDU-Amtskollegen in Hessen, Roland Koch, für eine pauschale Kürzung der Subventionen um jährlich drei Prozent ausgesprochen. Der CDU-Führung sind solche Pläne nicht geheuer. Schließlich bergen sie eine Menge sozialen Sprengstoff. Die Frage der Feiertag- und Nachtzuschläge solle erst im Zuge einer großen Steuerreform beraten werden, hieß es gestern nach einer Präsidiumssitzung. Vielleicht erinnert sich die Partei ja doch noch an ihr Konzept aus dem Jahr 1997.

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