Papst Benedikt ruft zum Gottesdienst

TRIER. Am Tag nach dem Konklave fragen sich viele Katholiken: Wie und wohin wird der neue Papst die Kirche führen? Welche Akzente setzt er? Und: Was ist Benedikt XVI. eigentlich für ein Mensch? Eine Spurensuche.

Als langjähriger Chef der römischen Glaubenskongregation ist Joseph Kardinal Ratzinger weltweit zu einem bekannten Mann geworden. Trotz des Zugriffs auf die Daten seiner kirchlichen Karriere bleibt weithin verborgen, wer dieser Mann in Wirklichkeit ist. Das liegt gewiss an dem ihm eigenen zurückhaltenden, bescheidenen Auftreten - aber auch daran, dass er hinter den Mauern der einflussreichsten vatikanischen Behörde in gewisser Weise auch eingeschlossen, wenn man so will, gefangen war, ein einsamer Hüter der Glaubenslehre. Unmittelbar nach seiner Wahl zum Papst erinnern sich - teils mit Respekt und Stolz in der Stimme - alle möglichen Zeitgenossen an frühere Begegnungen mit Joseph Ratzinger und beschreiben, wie er auf sie gewirkt hat. Bei dieser Art von Spurensuche kann auch der Trierische Volksfreund mittun: Vor gut einem Jahr, am 4. Dezember 2003, begleitete der TV den Kardinal einen Tag lang durch die Bischofsstadt Trier und führte mit ihm ein Interview. Nach einem feierlichen Gottesdienst mit einer Predigt Ratzingers im Trierer Dom, einem Festvortrag zur Verabschiedung der Liturgiekonstitution durch das Zweite Vatikanische Konzil vor 40 Jahren und einem mehrstündigen wissenschaftlichen Kolloquium in der Katholischen Akademie ließ sich der Kardinal damals von einer handverlesenen Gruppe Journalisten - darunter der TV - "auf den Zahn fühlen". Die Gelegenheit, aus allernächster Nähe einem Mann persönlich zu begegnen, dem der Ruf des gnadenlosen Verfechters der reinen Lehre und eines strammen Bollwerk-Vatikanologen voraus eilte, der an der Seite von Papst Johannes Paul II. dafür sorgte, dass es nicht zu innerkirchlichen Reformen kam. Eine Einschätzung aus der Schublade. Umso wirksamer kann es einen packen, wenn dann das Gegenüber ganz anders ist, als man erwartet hatte. Bei Ratzingers Besuch in Trier war das der Fall. Der TV kam damals im Leitartikel zu der Erkenntnis: "Als Person hat er überrascht: Da will das, was man über den gern so gescholtenen ,Hardliner' im Vatikan zu lesen und zu hören bekommt, nicht passen zu dem Auftreten eines Seelsorgers, der überzeugt ist und überzeugen will und mit weicher Sprache, Mimik und Gestik eindringlich immer wieder auf den Kern zu sprechen kommt: Es geht um Gott, und es geht um den Menschen. Und keineswegs um die Institution Kirche, die - das kritisiert er - vielfach als Apparat gesehen wird. Ratzinger hat mit seinem Abflug nach Rom eine Schar von Klerikern und Gläubigen zurückgelassen, die von seiner Person positiv vereinnahmt, ermutigt und gestärkt worden sind. " Schon vor Ende 2003 konnte Kardinal Ratzinger für den Fall eines Konklaves als "papabile" (papstfähig) gelten - wegen seiner starken Position im Vatikan. Was bei der Momentaufnahme in Trier hinzukam, war seine außergewöhnlich gewinnende Art im persönlichen Umgang. Die Attribute Bescheidenheit, Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit geben den Eindruck, den die Gestalt Ratzinger bei der Stippvisite hinterließ, nur unzureichend wieder. Jubel für den ersten Diener

Vielmehr gehörte zu der Ausstrahlung des Mannes, dass er nicht vornehmlich sich selber verkörperte sondern unaufdringlich seine dienende Funktion klar machte - ähnlich wie vorgestern mit seinen ersten Worten als Papst Benedikt XVI. vom Balkon am Petersdom, wo zehntausende Katholiken das mit Jubel quittierten. In Trier hatte Ratzinger klar gemacht, worum es ihm jetzt wohl auch als Papst gehen wird: um innere, geistige Erneuerung, Rückbesinnung auf die wahren christlichen Werte - weg vom Materiellen, hin zur Lehre von Jesus Christus. Zentral ist für den neuen Papst dabei die Feier des Gottesdiensts. Der ist keine Nebensächlichkeit, sondern Hauptsache. Ratzinger in Trier: "In der Liturgie vollzieht sich das Werk unserer Erlösung" und "Die Gläubigen sollen bewusst tätig und mit geistigem Gewinn an der Liturgie teilnehmen". Oder auch: "In der Liturgie der kleinsten Gemeinde ist immer die ganze Kirche anwesend" und "Der einfache Akt des Brotbrechens und Kelchzeigens ist ein wahrhaft sakraler". Diese Aura des Sakralen strahlte in Trier auch von Ratzinger selbst ab - deutlich spürbar, dass dieser Mann nicht sich selbst darstellt, sondern in der Anbetung Gottes lebt und das auch als die vordringlichste Aufgabe eines jeden Christen verkündet. Womit Papst Benedikt ganz eng an dem ist, was Jesus Christus als Ziel Nummer eins ausgegeben hat: Gott die Ehre zu geben. Dem folgt alles andere. Wer vor einem Jahr in Trier zugehört und gespürt hat, wie Joseph Kardinal Ratzinger damals als Verfechter dieser Glaubensbotschaft auftrat und herüberkam, der könnte in der Rückschau für sich erkennen: So muss einer sein, um Papst zu werden. Das ist er nun. Ausgestattet mit einem sensationellen Wahlergebnis, Macht über die Weltkirche und ersten Sympathiebekundungen aus dem Kirchenvolk. Dem Kern des Evangeliums verhaftet, authentisch, souverän und beim ersten Auftritt als Papst ungewohnt herzlich. Vielleicht besser als jeder andere imstande, als Pontifex (Brückenbauer) auch überraschende Reformen auf den Weg zu bringen. Eine Einladung an Katholiken, alte Schubladen zu schließen, oft in die Messe zu gehen, gestärkt wieder herauszukommen und gut gelaunt darauf zu vertrauen, dass es mit der Kirche gut weitergeht.

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