Polens Präsident in der Nein-Sager-Ecke

Auf Schloss Meseberg im Brandenburgischen wird an diesem Wochenende "Der Widerspenstigen Zähmung" gegeben. In den Hauptrollen Kanzlerin Angela Merkel und nacheinander die Regierungschefs Hollands, Spaniens, Tschechiens sowie der Präsident Polens. Es geht um die europäische Verfassung.

Als "Einzelbeatmung" wird die Aktion intern auch bezeichnet, denn jeder der Gäste macht gewisse Schwierigkeiten. Einer besonders. Ende nächster Woche sollen die 27 Regierungschefs der EU in Brüssel einen Fahrplan verabschieden, der die in Frankreich und Holland bei Volksabstimmungen abgelehnte Verfassung doch noch retten soll. Die amtierende EU-Präsidentin Merkel hat ein Lösungspaket geschnürt. "Reformvertrag" soll es nun heißen, weil der Begriff Verfassung auf Vorbehalte stößt. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf soll er abgespeckt sein, weil man den Menschen in Holland und Frankreich nicht das Gleiche nochmal vorlegen kann. Aber die Kernelemente sollen bleiben, insbesondere die Regelungen zu den künftigen Entscheidungsprozessen im größer gewordenen Europa. In Meseberg wird die Kanzlerin fast alle Gäste damit relativ leicht überzeugen können, nicht aber Polens Präsidenten Lech Kaczynski. Er hat sich in eine radikale Nein-Sager-Ecke manövriert. Bisher sieht die Verfassung eine doppelte Mehrheit bei EU-Entscheidungen vor, die das alte Einstimmigkeitsprinzip ablösen soll. Mindestens 55 Prozent aller Staaten müssen einem Beschluss zustimmen, damit die Großen nicht die Kleinen unterbuttern. Zugleich müssen sie 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, damit die Kleinen nicht die Großen überstimmen.Polen aber will mehr. Es hat die "Quadratwurzelregelung" erfunden und zugleich ein Veto angedroht. Nach dieser Formel würde Deutschlands Gewicht (81 Millionen Einwohner) mit neun Stimmen gerechnet, Polens (40 Millionen Einwohner) aber mit sechs. Das System bevorzugt also mittelgroße Staaten.

Merkel will an der doppelten Mehrheit nicht rütteln lassen. Denn sonst, so die Befürchtung, kämen viele andere mit weiteren Wünschen. "Wir kriegen dann eine Verfassung nie wieder zu Stande", heißt es in Regierungskreisen. Mit Diplomatie und Drohungen hat die Kanzlerin versucht, die Polen weich zu klopfen. Viele europäische Staatschefs reisten in ihrem Auftrag nach Warschau und redeten auf die Kaczynski-Brüder ein. Vergeblich.

Gestern im Bundestag versuchte es Merkel mit Klartext. "Kaum zu beschreibende schwere Folgen" hätte ein Scheitern, sagte sie unter Zustimmung fast aller Fraktionen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wurde in einem Interview deutlicher. Ohne Verfassung werde es keine weiteren EU-Beitritte geben. Und außerdem werde ein Europa "der zwei Geschwindigkeiten" entstehen. Mit anderen Worten: Polen würde abgehängt. Es gäbe noch einen anderen Ausweg: Den in Europa beliebten Kuhhandel. Noch aber weiß niemand so recht, was man Warschau anbieten könnte, zumal es bisher keine materiellen Forderungen stellt. Die Polen, so heißt es, müssten sich grundsätzlich für Europa entscheiden. Dann könne man auch über "Weiteres" reden. Maggie Thatcher hatte einst in ähnlicher Situation eingelenkt und war 1984 mit einem milliardenschweren Briten-Rabatt von EU-Haushaltsberatungen zurückgekehrt. Dafür feiern die Engländer sie noch heute.

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