Recht verärgert über linke Ideen

Berlin. Wer nicht ausbildet, soll zahlen: Das fordert seit langem der linke Flügel der SPD. Und verärgert damit nicht nur große Teile der Wirtschaft, sondern auch den eigenen "Superminister" Wolfgang Clement.

"Wir sind keine Dogmatiker", stellte gestern SPD-Generalsekretär Olaf Scholz fest - und meinte damit die "Wege und Methoden", mit denen die Sozialdemokraten künftig Jugendliche in Ausbildung bringen wollen. Glauben mag man das so Recht nicht, denn die Ausbildungsplatzabgabe, die inzwischen von den rot-grünen Strategen den etwas sanfteren, gefälligeren Namen "Ausbildungsumlage" erhalten hat, steht seit Jahrzehnten ganz oben auf der Wunschliste der SPD-Linken und ist schon öfter auf diversen Parteitagen beschlossen worden. Aber der Satz von Olaf Scholz war vermutlich wirklich als Umschreibung dafür gedacht, dass der vielstimmige Genossen-Chor auf der Suche nach einem Hintertürchen ist, mit dem der verärgerte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wieder besänftigt werden kann. Bevor er die Brocken vielleicht ganz hinschmeißt. Die Gemütslage des Superministers gilt nämlich nach wie vor in Berlin als super schlecht, so tief sitzt der Stachel, vom Personalcoup des Kanzlers in Sachen SPD-Vorsitz nicht vorab informiert worden zu sein. Und nicht nur, dass Clement bald unter seinem alten Rivalen Franz Müntefering der Partei dienen soll, macht ihn so sauer. Das in Arbeit befindliche Gesetz zur Lehrstellenabgabe für nicht ausbildende Firmen, die mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen, hat vielmehr seine Laune vollends in den Keller fahren lassen. Manch einer in der Hauptstadt sieht sogar schon die "Superminister-Dämmerung" heraufziehen. Zeit für Aufmunterung - den Anfang machte Bundeskanzler Gerhard Schröder, als er am Wochenende beim Landesparteitag der nordhein-westfälischen SPD in Bochum wieder demonstrativ "freiwillige Lösungen" der Wirtschaft anstelle der Zwangsabgabe in den Mittelpunkt rückte. Gestern kündigte der abmarschbereite General Scholz an, dass noch Gespräche mit der vergrätzten Wirtschaft und den zufriedenen Gewerkschaften geführt würden. Es bewegt sich also noch etwas. Außerdem meldete sich der thüringische SPD-Landeschef ChristophMatschie zu Wort: "Es wäre gut, wenn wir ohne Gesetz auskommen", meinte der Staatssekretär im Bildungsministerium, als ob Clement dies diktiert hätte. Schlechte Erfahrungen mit Versprechen der Wirtschaft

Übersetzt heißt das: Wenn bis zum Herbst genügend Lehrstellen von den Unternehmen bereitgestellt werden, könnten die Regeln doch noch in der Schublade bleiben. Dem über seine politische Zukunft nachdenkenden Wirtschaftsminister käme man damit zweifellos einen großen Schritt entgegen. Nur, er wird sich erinnern: Allen Versprechungen zum Trotz gelang dies den Firmen schon im vergangenen Jahr nicht. Am Stichtag 30. September fehlten 20 000 Ausbildungsplätze. Ein Vorschlag, mit dem sich Clement daher eventuell auch anfreunden könnte, kam gesternaus Schleswig-Holstein: Im Gesetz müssten regionale Ausnahmemöglichkeiten verankert werden, so Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). In Regionen, wo genügend Ausbildungsplätze geschaffen werden, sollen die Regelungen eben nicht zur Anwendung kommen. Das passt, denn von dem Minister ist bekannt: Wenn überhaupt ein Gesetz, dann will er die Kammern einbinden, um "auf die Lage der Unternehmen differenziert zu reagieren". Grundsätzlich hofft Wolfgang Clement jedoch, dass seine ganz persönliche Arbeitsmarkt-Rechnung aufgeht: 2004 wird sich die wirtschaftliche Situation verbessern, ab 2005 die Lage auf dem Lehrstellenmarkt. Ab 2006 sinkt dann die Zahl der Schulabgänger, und 2007 beginnt die "händeringende Suche nach Auszubildenden". Dann wäre die Abgabe ohnehin wieder überflüssig.

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