SPD paradox

BOCHUM. Der SPD-Parteitag in Bochum hat personelle Zeichen gesetzt und sich mit Schröders Agenda 2010 arrangiert.

Der Spaßfaktor auf dem SPD-Parteitag ist von bescheidener Größe. Am Dienstag erfreuen sich die Delegierten zwei Minuten lang an roten Luftballons, die zu Ehren des Geburtstagskindes Franz Maget los gelassen werden. Und am Abend zuvor genießen die Genossen ein kleines Vergnügen beim Parteiabend, auf dem der Vorsitzende Gerhard Schröder geehrt wird für 40-jährige Treue zur SPD. Die Ehrparade nimmt ihre Fortsetzung, als der Kanzler seinem Laudator Hans-Jochen Vogel mit spürbarer Emotion "meine Verehrung für deine politische Lebensleistung" bekundet und ihn sogar umarmt. Lafontaine und Scharping gar nicht erschienen

SPD paradox: Früher nicht gerade freundlich gesinnte Genossen liegen sich plötzlich in den Armen, ehemalige Kumpel (Lafontaine, Scharping) reden nicht mehr miteinander und sind gar nicht erst erschienen. Ein Beleg dafür, dass sich in der SPD weit mehr geändert hat als nur das Führungspersonal. Schröder hat die Partei aus der Not heraus umgekrempelt wie kein Vorsitzender zuvor. Dass indes noch ein weiter Weg zu bewältigen ist, zeigen die durchwachsenen Reaktionen auf die Schröder-Rede und die Ergebnisse der Vorstandswahlen. Generalsekretär Olaf Scholz, mit nur 52,6 Prozent der Stimmen gedemütigt, hat auch am Dienstag noch große Probleme, die Demonstration des Misstrauens zu verarbeiten, während sein Chef (dem eigentlich die Prügel gilt) sich nach Kräften müht, den Denkzettel zu relativieren: "Jede Wette" will er eingehen, dass Scholz bei der nächsten Wahl in zwei Jahren ein gutes Ergebnis einfährt. Fragt sich nur, ob es überhaupt noch dazu kommt: Im Schutze der Anonymität sagen prominente Sozialdemokraten, Scholz sei nicht mehr lange zu halten. Fraktionsvize Michael Müller setzt ihm sogar ein Ultimatum: "Bis Mitte nächsten Jahres muss er sich stabilisiert haben." Das "sonst" verkneift sich Müller gnädig. Als hätten die Sozialdemokraten keine anderen Sorgen, diskutieren sie am Rande immer wieder die Personalien Olaf Scholz und Wolfgang Clement. Schröder kommt extra in die Presselounge, um die Diskussion zu beeinflussen: "Kollektive Unvernunft" bescheinigt er dem Parteitag, der ihm zuvor in kollektiver Vernunft auf dem steinigen Agenda-Weg gefolgt ist. Auch der eigentliche Star des Konvents, Fraktions-Chef Franz Müntefering, lässt wegen der Benotung von Scholz und Wirtschaftsminister Clement ärgerliche Sätze los: "Die SPD muss lernen, dass sie seit 30 Jahren mal wieder einen Wirtschaftsminister hat." Die Klagen helfen nicht weiter, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Scholz und Clement sind die Verlierer des Parteitags, Schröder und Müntefering die Gewinner. Auch die Linken dürfen zufrieden sein, haben sie doch mehr erreicht als erhofft: Die lange geforderte Ausbildungsabgabe, die höhere Erbschaftsteuer, die Idee der Bürgerversicherung, das trotzige Beharren auf der Tarif-Autonomie. Der saarländische Landesvorsitzende Heiko Maas, als Schröder-Kritiker bekannt, lobt: "Das ist Balsam auf viele Wunden."

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