Schröder geht, wer kommt?

BERLIN. Nach dem Abtritt Gerhard Schröders plagen die SPD heftige Personalsorgen. Erschwerend für die Planungen: Der Parteinachwuchs begehrt auf und fordert einen Generationenwechsel.

Nach seiner vorsichtigen Andeutung am Dienstag redete Kanzler Gerhard Schröder gestern Klartext: "Ich werde der nächsten Bundesregierung definitiv nicht mehr angehören." Die entscheidenden Worte waren am Mittag in einer Grußansprache auf dem Kongress der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) in seiner Heimatstadt Hannover gefallen. Rund 300 Kilometer weiter östlich saßen um diese Zeit das SPD-Präsidium und führende Fraktionsmitglieder im Berliner Willy-Brandt-Haus zusammen, um für die Zeit nach Gerhard Schröder zu planen. Eine Tatsache, mit der sich Fraktionsvize Ludwig Stiegler nach allen flammenden Kanzler-Bekenntnissen gestern erstaunlich schnell abfand: Die Entscheidung liege halt bei Schröder. "Wir haben jetzt wirklich andere Sorgen." Wohl wahr. Am Montag beginnen die Koalitionsverhandlungen mit der Union. Einige Inhalte sind schon festgezurrt. Als Buch mit sieben Siegeln gilt aber immer noch die brisante Frage, wer was von der SPD in einem künftigen Kabinett zu sagen hat. Auf der schon erwähnten Sitzung im Willy-Brandt-Haus wurde das Thema schlicht ausgeklammert. In einem Kreis von rund 30 Leuten könne man kein Personal festzurren, meinte ein Genosse. In Berlin wird allerdings erwartet, dass sich Parteichef Franz Müntefering schon heute zur Ämterverteilung erklären wird. Am Vormittag soll dem Vernehmen nach das Präsidium die letzten Weichen stellen. Am Mittag kommt die Bundestagsfraktion zusammen, um einen neuen Parlamentarischen Geschäftsführer zu wählen. Einziger Kandidat ist der ehemalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Bei dieser Gelegenheit soll es auch eine Grundsatzaussprache über den weiteren Verhandlungsweg mit der Union geben. Möglicherweise ist dann schon klar, ob Franz Müntefering den Genossen als Fraktionschef erhalten bleibt, oder ob er mit Widerwillen als Arbeitsminister und Vizekanzler in die Regierung eintritt.Müntefering könnte ins Kabinett eintreten

Denn darin besteht das Kardinalproblem: Nach Schröders Rückzug ist in einem künftigen Kabinett bislang keine starke Persönlichkeit erkennbar, hinter der sich sämtliche SPD-Flügel gleichermaßen versammeln könnten. Gestern Abend sickerte durch, dass Müntefering heute wichtige Personalentscheidungen bekannt geben wird - darunter auch die, ob er ins Kabinett eintritt oder nicht. Dahinter steht nicht zuletzt die Überlegung, dass mit Angela Merkel (CDU) und Edmund Stoiber (CSU) auch die beiden Parteivorsitzenden der Union im Kabinett vertreten sind. Als Vizekanzler und Außenminister war ursprünglich der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Plat-zeck gehandelt worden. Aber Platzeck hat seine Absage gestern noch einmal bekräftigt. Ein ostdeutsches Gesicht mit SPD-Ticket wird es im neuen Kabinett aber trotzdem geben. Als Platzeck-Ersatz steht nach Informationen des TV der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee bereit. Allerdings nicht für das Außenamt, welches der amtierende Kanzleramtschef Frank Walter Steinmeier übernehmen könnte, sondern für das Verkehrsministerium, in dessen Zuständigkeit auch der Aufbau Ost fällt. Als sichere Bank galt gestern auch der Ex-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück. Er soll Finanzminister werden. Beim Parteinachwuchs wurde unterdessen noch einmal die Forderung nach einem Generationswechsel an vorderster Front bekräftigt. Nach Ansicht von Juso-Chef Björn Böhning müssten vier der acht Ministerien für die SPD mit jungen und neuen Leuten besetzt werden. "Insgesamt haben wir den Generationenaufbau in den 80er- und 90er-Jahren verschlafen", kritisierte Böhning gegenüber dem TV. "Eine personelle Erneuerung nur in der vierten oder fünften Reihe ist keine Erneuerung." Zu den Favoriten für künftige Führungsaufgaben zählen neben Platzeck Niedersachsens Ex-Ministerpräsident Sigmar Gabriel und Präsidiumsmitglied Andrea Nahles.

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