"Stochern im Nebel"?

Karlsruhe · Die Regierenden müssen dem Bundestag Rede und Antwort stehen, dazu verpflichtet das Grundgesetz. In wichtigen Fragen aber fühlen sich die Grünen mit Ausflüchten abgespeist. Vor dem Bundesverfas- sungsgericht streiten sie nun um Einblick.

Karlsruhe (dpa) Ob marode Brücken, Übergriffe auf Flüchtlinge oder türkische Spionage auf deutschem Boden - mit weit mehr als 3500 Fragen und Anfragen haben die Bundestags-Abgeordneten der Regierung seit der Wahl 2013 zu den unterschiedlichsten Themen auf den Zahn gefühlt. Aber nicht immer stellen die Antworten die Fragesteller zufrieden. Die Grünen sehen ein zentrales Parlamentsrecht in Gefahr. Vor dem Bundesverfassungsgericht pochen sie auf Auskunft (Az. 2 BvE 2/11). Das Wichtigste zum Verhandlungsauftakt am Dienstag:
Um was geht es in Karlsruhe?
Vor mehr als sechs Jahren, 2010, richten die Grünen mehrere Anfragen an die - damals noch schwarz-gelbe - Bundesregierung. Gleich dreimal geht es um die Deutsche Bahn: Die Parlamentarier wollen wissen, wie bestimmte Entscheidungen über Verkehrsprojekte zustande gekommen sind, warum Züge oft größere Verspätungen haben und wie es sein kann, dass Wirtschaftsprüfer die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 nicht vorausgesehen haben. Andere Anfragen zielen auf Versäumnisse der Bankenaufsicht. Aber die Antworten tragen aus Sicht der Grünen nicht zur Aufklärung bei. Sie fühlen sich von der Regierung mit Ausflüchten abgespeist.
Weshalb sind solche Anfragen wichtig?
"Das Fragerecht ist für uns eines der zentralen Instrumente parlamentarischer Arbeit", sagt Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Jeder Abgeordnete hat das Recht, pro Monat bis zu vier schriftliche Fragen zu stellen, die binnen einer Woche beantwortet sein sollen. Größere Breitenwirkung haben die umfangreicheren Kleinen Anfragen, hinter denen mindestens fünf Prozent der Parlamentarier oder eine Fraktion stehen müssen.
Warum beschäftigt die Sache das Verfassungsgericht?
Das Fragerecht steht nicht nur in der Geschäftsordnung des Bundestags, sondern leitet sich direkt aus dem Demokratieprinzip ab. Gibt es um solche grundgesetzlich verbrieften Rechte und Pflichten Streit zwischen den obersten Bundesorganen, entscheidet Karlsruhe in einem sogenannten Organstreitverfahren. In diesem Fall richtet sich die Klage gegen die Bundesregierung. Die Grünen pochen als Fraktion und mit Abgeordneten auf Rechte, die nach ihrer Auffassung nicht nur ihnen, sondern dem gesamten Bundestag zustehen.
Was haben die Richter zu klären?
Bei allen Anfragen geht es um Unternehmensinterna, von denen die Bundesregierung aufgrund ihrer Aufsichtsfunktion Kenntnis bekommt. Die Grünen sind der Meinung, dass diese Infos auch die Abgeordneten angehen. Sonst könnten sie weder kompetent über den Haushalt entscheiden noch Reformen anstoßen, wenn Dinge schieflaufen. "Wenn die Exekutive ihr Herrschaftswissen für sich behält, stochert das Parlament im Nebel herum", kritisiert von Notz. Die Regierung sieht sich dagegen durch das Aktiengesetz und andere Vorschriften zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wenn zu viel Offenheit die Stabilität der Finanzmärkte gefährde, sei zum Beispiel eine Grenze erreicht, so Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke.
Zeichnet sich schon ein Ergebnis ab?
Dafür ist es zu früh. Aber dass gleich zwei Verhandlungstage angesetzt sind, zeigt, für wie gewichtig der Zweite Senat die Frage hält. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle spricht sogar von einer "Operation nahe am Herzen der Demokratie". Zu Beginn haben sich die acht Richter vor allem schildern lassen, was es für einen Unterschied macht, ob die Abgeordneten eine Information frei oder unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit bekommen. Was auffällt: Gleich mehrere Senatsmitglieder haken nach, ob das Interesse an Geheimhaltung nicht irgendwann erlischt - also nachträgliche Kontrolle möglich sein muss.
Wie geht es weiter?
Am Mittwoch geht es in die Details der einzelnen Anfragen. Anschließend berät der Senat im Geheimen. Einen Verkündungstermin für das Urteil gibt es erfahrungsgemäß erst in einigen Monaten.

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