"Super-Obama" kehrt auf die Erde zurück

Ein Jahr nachdem Barack Obama zum ersten schwarzen US-Präsidenten gewählt worden ist, trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel heute den Staatschef. Die Kritik an dem einstigen Hoffnungsträger in den USA wächst allerdings.

Charlottesville. Mary Bennett hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ungeachtet eines Wunders droht ihrem Kandidaten Creigh Deeds am Dienstag eine böse Schlappe bei den Gouverneurswahlen in Virginia. Dem ersten Test für die Demokraten, ein Jahr nach der historischen Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Vergangenen Samstag saß Bennett ganz alleine im Call-Center des Wahlkampfbüros in Charlottesville.

"Es ist viel schwerer die Leute zu motivieren", vergleicht die Aktivistin ihre Erfahrungen mit der Begeisterung, die Barack Obama vor nicht einmal einem Jahr als ersten Demokraten seit mehr als vier Jahrzehnten in Virginia zum Sieg trug. Zehntausende harrten damals Stunden in der Kälte aus, um den "Yes-We-Can"-Kandidaten auf der nächtlichen Schlusskundgebung des Wahlkampfs bei Manassas zu erleben. Ein Jahr später kann der Hoffnungskandidat eine Fülle begonnener Projekte, aber nur wenige Ergebnisse vorweisen. "Sein größter Erfolg war das 800-Milliarden-Konjunktur-Programm", meint der Politologe Larry Sabato von der University of Virginia. "Ansonsten hat er wenig Weltbewegendes vorzuweisen."

Was nicht heißt, dass Obama nicht versucht seine Versprechen einzulösen. Innerhalb Stunden nach seiner historischen Wahl schritt er zur Tat. "Seine Präsidentschaft begann im November vergangenen Jahres," meint Jonathan Alter, der an einem Buch über Obamas erstes Jahr im Weißen Haus arbeitet, zu dem rasanten Tempo mit dem Obama zu Werke ging. Und zwar inmitten der Finanz- und Wirtschaftskrise. Dass es dazu nicht kam und die Wirtschaft im letzten Quartal sogar wieder um 3,5 Prozent zulegen konnte, ist kein kleines Verdienst.

Kaum politischen Kredit



Solange sich die Erholung nicht auf dem Arbeitsmarkt zeigt, erhält Obama nur wenig politischen Kredit dafür. Das Gleiche gilt für die Fortschritte bei der Gesundheitsreform. Einem Jahrhundertprojekt, an dem seit Theodore Roosevelt alle Präsidenten gescheitert waren.

Niemand schaffte es, die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung soweit voranzutreiben wie Obama. Doch beschlossen ist die Reform damit noch nicht.

"Wandel ist schwierig", räumte Obama kürzlich ein, der nun erlebt, wie sehr das politische System der USA einschneidende Veränderungen erschwert. Blumige Wahlkampfrhetorik lässt sich nur in kleinen Schritten in die Praxis umsetzen. Beispiel Guantanamo: Das Versprechen am Tag eins nach der Amtseinführung, den Schandfleck binnen Jahresfrist zu schließen, scheitert an der Bereitschaft des Kongresses, die Häftlinge in US-Gefängnissen unterzubringen. "Ich bin darüber enttäuscht", meint Jean Borton (31), der sich im Stammlokal der "Drinking Liberally"-Demokraten von Charlottesville mehr Mut wünscht. Das gelte auch für die Gleichbehandlung von Homosexuellen im Militär oder den Klimaschutz. "Wir brauchen Ergebnisse", findet der Literaturwissenschaftler. "Dann kehrt auch die Begeisterung wieder zurück." Insbesondere an der linken Basis bereitet dem Präsidenten der mangelnde Fortschritt in Guantanamo Probleme. Die US-Konservativen polemisieren lautstark gegen "Bankenrettung" und "Konjunkturprogramm", organisieren "Teepartys", um gegen höhere Steuern für Spitzenverdiener zu protestieren und fürchten um das Amerika, das Ronald Reagan ihnen einmal versprochen hatte.

Nach seinem Höhenflug während der ersten 100 Tage kehrt "Super-Obama" auf die Erde zurück. Dem "Yes we Can" des Wahlkampfs fügen seine Anhänger nun ein "aber nicht sofort" hinzu. Oder wie Mary Bennett ungeduldigen Wählern sagt: "Veränderungen brauchen Zeit."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort