Tingeln oder zahlen

Berlin . In Sachen Ausbildungsplatzabgabe sucht die Bundesregierung den Kompromiss mit den Gewerkschaften.

Als Wolfgang Clement (SPD) noch in Nordrhein-Westfalen Minister und später Ministerpräsident war, ist er öfter mal höchstpersönlich im Sommer für die Jugend Klinken putzen gegangen. Dann tingelte er durch die Unternehmen an Rhein und Ruhr, um zusätzliche Lehrstellen locker zu machen. Mit Erfolg. Angesichts dieser Erfahrung hält es der heutige Superminister im Kabinett Schröder daher lieber mit Appellen und Gesprächen, statt auf Zwang zu setzen. "Wir brauchen keine Abgabe, sondern die Bereitschaft aller Unternehmen mitzuwirken", ließ er noch vor wenigen Tagen wissen. Auch Gerhard Schröder galt lange Zeit als ein Gegner einer Ausbildungsplatzabgabe. Aber manchmal ist es eben besser für einen Kanzler, klein beizugeben. Um den Kritikern seiner Reformen aus der SPD und den Gewerkschaften entgegen zu kommen, steht die von der Wirtschaft und der Opposition im Gegenzug so verdammte Abgabe also im Leitantrag, den die Genossen auf ihrem Sonderparteitag am 1. Juni verabschieden sollen. Obwohl Regierungsmitglieder wie eben Clement, Verkehrsminister Manfred Stolpe, Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (beide SPD) oder Landesfürsten wie der Parteivorsitzende von NRW, Harald Schartau, nichts von dem Plan halten. Aber was tut man nicht alles für das große Ganze namens Agenda 2010. Nicht von jetzt auf gleich wird die Strafzahlung kommen, sondern die Sozialdemokraten haben sich auf einen Fahrplan verständigt. Sollte es bis zum 30. September keine ausgeglichene Ausbildungsplatzsituation geben, muss die Wirtschaft verbindlich erklären, dass sie einen Fonds zur Finanzierung der fehlenden Lehrstellen einrichtet und nachweislich jedem Suchenden bis zum Ende des Jahres eine Ausbildung anbietet. Stimmen die Unternehmen der freiwilligen Regelung nicht zu, kommt das entsprechende Gesetz über den Fonds. Er soll dann von Betrieben ohne Lehrlinge mit jeweils voraussichtlich 5000 Euro gespeist werden. Die Grünen sind dabei ganz auf Linie des großen Koalitionspartners - unter dem Druck wachsenden Widerstands an der eigenen Basis gegen die Reformagenda hat sich auch die Parteispitze am Montag klipp und klar für die Einführung der Strafzahlung ausgesprochen. Die Befürworter der Abgabe verweisen auf die Zahlen: Derzeit sind über 560 000 junge Menschen arbeitslos. Im Herbst werden nach Ansicht der Arbeitsämter bis zu 140 000 Ausbildungsplätze fehlen - ein Lehrstellenmangel, dessen Dimension an die trüben 80er Jahre erinnert. Gegenwärtig bilden nur 30 Prozent der Unternehmen aus, das sind 600 000 Betriebe. Der DGB beziffert das Potenzial auf die doppelte Anzahl - und würden davon nur zehn Prozent einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen, könnten 200 000 neue Stellen entstehen. Viele würden einstellen, um Strafen zu verhindern, heißt es.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort