Truppe im Umbruch

BERLIN. Vor ein paar Jahren hätten solche Ereignisse die Schlagzeilen bestimmt. Heute sind sie nur noch eine Randnotiz: In dieser Woche startete eine weitere Bundeswehrmission fernab der heimatlichen Grenzen. Bis zu 350 deutsche Soldaten sollen mithelfen, den Bürgerkrieg im Kongo zu stoppen.

Kein Zweifel, das Bild unserer Streitkräfte hat sich grundlegend gewandelt. Mittlerweile sind rund 10 000 Bundeswehrsoldaten auf drei Kontinenten von Bosnien bis zum Horn von Afrika im Einsatz. Die Weizsäcker-Kommission kam schon vor drei Jahren zu dem Schluss, dass die internationale Krisenbewältigung ein "strukturbestimmendes Merkmal" der deutschen Streitkräfte sein müsse. Ihr oberster Dienstherr, Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, scheute allerdings die politischen Konsequenzen. Sein Nachfolger, Peter Struck, konnte sich den veränderten Realitäten nicht länger entziehen. Strucks These, Deutschland werde im Zweifelsfall auch am Hindukusch verteidigt, fasst auf provokative Weise zusammen, was in den zurückliegenden Jahren ohne viel Aufhebens zum Hauptauftrag der Bundeswehr geworden war: weniger Landesverteidigung, mehr internationale Präsenz.Offene Fragen: Finanzierung und Wehrpflicht

Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien wider, die der Minister im Mai veröffentlichte. "Eine Gefährdung des deutschen Territoriums durch konventionelle Waffen kann in absehbarer Zeit überhaupt nicht unterstellt werden", argumentierte Struck. Die beruhigende Feststellung bringt allerdings zwei große Probleme mit sich. Wie steht es um die Finanzierung der militärischen Umstrukturierung? Und was wird eigentlich aus der Wehrpflicht? Ginge es nach dem Verteidigungsminister, dann müssten die Männer auch noch in ferner Zukunft einen neunmonatigen Grundwehrdienst leisten. Zahlreiche Dienstposten sind mit freiwillig länger dienenden Soldaten besetzt, die sich nur aus Wehrpflichtigen rekrutieren. Vor dem Hintergrund wachsender internationaler Aufgaben ist die Wehrpflicht allerdings immer weniger gerechtfertigt. Schließlich geht es um professionelle Einsatzkräfte. So verweigerte jüngst die SPD-Fraktion Struck die Gefolgschaft, als sie die Beibehaltung der Wehrpflicht billigen sollte. Eine Abstimmung wurde kurzerhand gestrichen. Der kleine Koalitionspartner ist ohnehin für eine Berufsarmee, auch wenn sich die Umwandlung nicht "im Sturzflug" vollziehen könne, wie der grüne Wehrexperte Winfried Nachtwei sagt. Selbst in Militärkreisen geht man davon aus, dass die Wehrpflicht auf Dauer nicht zu halten sein wird. Dafür dürfte schon die mangelnde Wehrgerechtigkeit sorgen. Nur etwa jeder vierte Mann eines entsprechenden Jahrgangs muss inzwischen tatsächlich zum "Bund". Um den Schein zu wahren, wird bei den Einberufungs-Kriterien getrickst: Seit kurzem sind zum Beispiel alle Verheirateten von der Wehrpflicht befreit.Weitere Standortschließungen

Experten gehen allerdings davon aus, dass die Umstellung auf eine Berufsarmee zunächst einmal mehr Geld kosten würde. Und das ist allein schon durch die laufenden Auslandseinsätze knapp. Mit dem Irak könnte langfristig eine weitere internationale Friedensmission hinzu kommen. Im Falle eines UN-Mandats werde sich der Blick auch auf Deutschland richten, prophezeit der Chef der Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz. Ohne zusätzliche Finanzen sei das aber nicht zu machen. Gemessen an den allgemeinen Sparzwängen ist Struck noch relativ gut bedient. Bis einschließlich 2006 soll der jährliche Wehretat konstant bei 24,4 Milliarden Euro liegen. Für 2007 stehen gar 800 Millionen Euro mehr zur Verfügung. "Das ist ein Erfolg Strucks", sagt auch Gertz. Allerdings rückt er die Dimensionen zurecht: Nach seinen Berechnungen brauchte die Truppe eine einmalige Finanzspritze von 20 Milliarden Euro sowie jährlich 3,5 Milliarden mehr als im Struck-Etat vorgesehen. Doch davon kann die Bundeswehr nur träumen. Am Ende bleibt dem Minister nur eine Möglichkeit: Er muss die Betriebskosten der Truppe drastisch senken. Mit den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien sind neun Standortschließungen verbunden. Es werden nicht die letzten sein.

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