US-Strategie scheitert

Washington . "Jetzt werden die Karten neu gemischt." So kommentierten gestern Mitarbeiter von US-Außenminister Colin Powell die für Washington niederschmetternde Meldung aus Moskau, den dem UN-Sicherheitsrat vorliegenden Resolutionsentwurf notfalls mit einem Veto zu Fall zu bringen.

Die Veto-Drohung Russlands lässt die bisherige diplomatischeMarschroute im Ringen um eine Mehrheit im Sicherheitsrat alsMuster ohne Wert erscheinen. Damit steht eine Strategie vor demScheitern, die gelautet hatte: Mindestens neun Ja-Stimmengewinnen und dann - bei einer erhofften russischen Enthaltung -die Franzosen als alleinigen "Störenfried" zu isolieren. AuchPeking werde sich dann enthalten, hatte man gehofft. Der Plan sah weiter vor, selbst bei einem Veto aus Paris den Krieg beginnen zu lassen - und sich dabei auf ausreichende moralische Legitimierung durch die Völkergemeinschaft zu berufen. Eine "große Enttäuschung" werde es allerdings sein, falls Moskau nicht die Notwendigkeit zu einer weiteren Entschließung erkenne, hatte US-Regierungssprecher Ari Fleischer noch vergeblich gemahnt. Doch ebenso wie Colin Powells scharfe Ermahnungen in Richtung Paris blieb dieser Appell des Weißen Hauses ohne Wirkung.

In hektischen Krisensitzungen versuchte das Bush-Kabinett gestern, Auswege aus der sich abzeichnenden diplomatischen Niederlage zu finden. Wenig wahrscheinlich ist, dass bereits heute in New York die amerikanisch-britische Resolution und damit auch die "letzte Frist" 17. März für Saddam zur Abstimmung gestellt wird. "Wir benötigen mehr Zeit" - diese sonst nur von den Gegnern eines Waffengangs benutzte Formel prägte gestern die Überlegungen des Weißen Hauses.

Nun wird sogar nicht ausgeschlossen, dass man bis Mittwoch oder sogar bis zum Ende der Woche weiter um die fehlende Zustimmung im Sicherheitsrat ringen wird - und sich dabei flexibler zeigt, als ursprünglich offiziell angegeben wurde. Gestern wurden bereits wieder mögliche Änderungen des Resolutionsentwurfs zwischen Washington und London hin- und hergefaxt. Immer wieder hieß es: Wir reden über Modifikationen.

Die Grundidee: Bagdad als erneute "letzte Chance" einen von Großbritannien, aber auch anderen Sicherheitsrats-Mitgliedern favorisierten engen Zeitplan mit weiteren Abrüstungsschritten in die Hand zu drücken, der auch einige Tage "Zugabe" enthalten könnte. Das würde nach Einschätzung von US-Diplomaten vor allem den derzeit unentschiedenen Nationen im UN-Gremium entgegenkommen - und am Ende wohl auch neuen Druck auf die Veto-Mächte ausüben.

Einige Tage mehr Zeit böten Washington Gelegenheit, verstärkt den Finger in Wunden zu legen, die von den UN-Chefinspektoren offenbar bei ihrem letzten öffentlichen Bericht unerwähnt blieben. Dabei geht es sowohl um die Entdeckung einer neuartigen Rakete durch UN-Kontrolleure, mit der angeblich Kampfstoffe über große Flächen verteilt werden können, und eine unbemannte "Drohne", deren Besitz ebenfalls gegen UN-Resolutionen verstoßen würde.

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