Von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen

BERLIN. Leistet sich Berlins Bürgermeister zu viele Fehltritte? Die Hauptstadt schwankt zwischen kleinkariert und peinlich berührt. "Wowi" ist inzwischen der Party-Spaß vergangenen.

Das hat schon Seltenheitswert: Gestern Abend fand in Berlin ein glanzvolles Fest statt, und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ging einfach nicht hin. Sonst lässt er keine Party aus. "Seine Neigung, jetzt auf einen Ball zu gehen, ist nicht so groß", begründete Senatssprecher Michael Donnermeyer das plötzliche Fernbleiben des Sozialdemokraten vom Bundespresseball. "Wowi", wie die Berliner den Mann im Roten Rathaus nach wie vor liebevoll nennen, ist der Spaß vergangenen: "Wowereit blamiert Berlin", "Wowereit, regierender oder blamierender Bürgermeister?", und: "Wowereit nicht mehr schwul?", lauteten nur einige Schlagzeilen der vergangenen Wochen. Die Strategen rund um den "regierenden Partymeister", wie der 52-Jähirge genannt wird, haben gemerkt, dass die Stimmung in der Hauptstadt zu kippen droht. Das übliche Tänzchen mit der Moderatorin Sabine Christiansen bis in die frühen Morgenstunden fiel gestern also aus. Nach der "Knutsch-Affäre" - Wowereit hatte bei einer Gala die Kabarettistin Desiree Nick intensiv auf den Mund geküsst - und einer umstrittenen Thailandreise wetzt der politische Gegner die Messer: Am Donnerstag musste sich der Meister des Smalltalks im Abgeordnetenhaus verantworten. "Küssen gehört auch zum Regierenden Bürgermeister, und der Regierende Bürgermeister wird sich das Küssen nicht verbieten lassen", rechtfertigte er seine Knutscherei mit "Dschungelkönigin" Nick. Darum allein geht es jedoch nicht. Denn die eigentlichen Fragen, die die Gemüter in Berlin (wieder einmal) erhitzen, lauten: Wann ist es genug? Überall wird in der Pleitestadt gespart, und der Bürgermeister genießt das Leben und die Feiern in vollen Zügen. Darf er das? Abschließende Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Allenthalben wird Wowereit attestiert, dass er für die Hauptstadt zwischen Stars und Sternchen eine gute Figur macht. Nicht jeder Bürgermeister hat es überdies zu so einem bundesweiten Bekanntheitsgrad gebracht wie der Berliner, was nicht nur an seinem Outing gelegen hat. Längst, sagen Kritiker und auch Genossen, sei ihm aber das ohnehin nur gering ausgeprägte Fingerspitzengefühl abhanden gekommen. So hielt der "Bruder Leichtfuß" unlängst in Bangkok vor Top-Managern eine belanglose Rede, die teilweise auch noch am Thema vorbeiging. Zum Politikum wurde zudem, dass er sich bei der Auswahl seines Anzuges vergriff - statt eines beigen Sommeranzuges wäre ein dunkler besser gewesen, kommentierte die Hauptstadtpresse. Seitdem gilt das Prinzip Attacke. Kleinkariert? Viele lauern in Berlin nur auf Fehltritte des lebenslustigen Stadtoberhauptes, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt und der sein Amt so anders versteht als andere, sprödere Politiker. Genau das macht ihn aber angreifbar. Gleichzeitig hilft Wowereit seinen Kritikern wo er kann: Über 20 teure Dienstfernreisen in alle Welt absolvierte er bisher, oft mit naiven Fehltritten. Als er im Oktober Argentinien besuchte, meinte er, dass es dort den Leuten viel schlechter als den Berlinern ginge, aber sie jammerten nicht so. Ein Aufschrei ging durch die Stadt. Bei seiner Mexikoreise einige Monate zuvor schrieb er täglich via Bild-Zeitung ein Tagebuch an seinen Freund - peinlich, peinlich, lästerten auch Parteifreunde...

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