Wenn der Kopf zu platzen scheint

Trier · Es gibt nur wenige Leiden, die schlimmer sind. Wenn es sich anfühlt, als würden Messer ins Gehirn bohren, versinkt die Welt im Schmerz.

Trier Der blonde Jugendliche wirkt reifer, als seine 14 Jahre es vermuten lassen. "Heute geht das mit den Kopfschmerzen ganz gut", sagt er ernst und mit ruhigem Ton. Marcel weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Kopf zu explodieren scheint. Er weiß es seit zwei Jahren, als ihn im Urlaub die erste Migräneattacke umhaute.
"Das war schlimm", erinnert sich seine Mutter Beata Kemnitz. "Ich habe ihn wie ein kleines Kind im Arm gewiegt und gespürt, wie er sich immer wieder vor Schmerzen verkrampfte, bis er irgendwann eingeschlafen ist." Marcel wird seitdem immer wieder von Migräneanfällen heimgesucht. Oft dauert es zwei Wochen und länger, bis die Schmerzen wieder weg sind. "Wenn ich bei Migräne denken soll, geht das gar nicht", umschreibt er diese schwierigen Zeiten. Im vergangenen Halbjahr habe er deshalb 30 Fehltage in der Schule angesammelt und keine Epochalnote bekommen. Für einen Notenschnitt von 2,1 hat es dennoch gereicht. "Mir fällt das Lernen leicht."
Wie viele Kopfschmerz- und Migränepatienten hat der Jugendliche - mit Unterstützung seiner Eltern - eine lange Suche nach möglichen Ursachen hinter sich. Neurologen, Zahnärzte, Schmerzmittel alleine und in Kombination. Da auch seine Mutter und die ältere Schwester bereits häufig unter Migräneattacken litten, gab die Kinderärztin schließlich den Tipp für die Kopfschmerzgruppe für Kinder und Jugendliche bei der Villa Kunterbunt.
"Die Schmerztherapie dort hat mir geholfen", sagt der schlanke junge Mann, der seit acht Jahren das Kick-Boxen als seinen Lieblingssport nennt - sofern er ihn nicht wegen Migräne ausfallen lassen muss. "In der Villa Kunterbunt haben mich die Leute ernst genommen. Und ich habe andere Kinder und Jugendliche kennengelernt, die ähnliche Probleme haben und mich verstehen. Jetzt weiß ich auch, dass die mit Spannungskopfschmerzen viel schlimmer dran sind als ich, weil die ständig leiden."
In der Therapie hat Marcel gelernt, wie er sich bei einer Attacke ablenken kann, um den Schmerz erträglich zu machen. "Mir helfen Gedankenreisen zu Musik und …", ein schelmisches Lächeln verzaubert das ernste Jungengesicht, "und Computerspiele und Youtube". Das habe er irgendwann aus Verzweiflung ausprobiert. "Dann habe ich gemerkt, dass die Schmerzen nicht mehr so stark sind, wenn ich mit anderen am Computer spiele." Angst vor Migräneanfällen? Nein, die kenne er nicht.
Maria H. (Name geändert), die 56-jährige Teamleiterin eines Dienstleistungsbüros in der Eifel, versetzt eine solche Aussage in Erstaunen. "Ich habe schon als Kind und später immer wieder unter Kopfschmerzen und Migräneanfällen gelitten", erinnert sich die selbstbewusst wirkende Frau. "Im Beruf ist das immer schlimmer geworden. Einmal habe ich wirklich gedacht, ich sterbe." Passiert sei das nach einem dreitägigen Kongress, den sie mit zunehmenden Kopfschmerzen durchgestanden habe. "Auf der Heimfahrt im Zug ging einfach nichts mehr. Ich konnte nicht mehr aus den Augen schauen, nicht sprechen …"
Der Wendepunkt sei dann nach der Lektüre des Arztbriefs gekommen. "Da stand etwas von Panik attacken und Versagensängsten. Das war hart, aber ich weiß seitdem, dass beruflicher Erfolg nicht alles sein kann, was zählt. Das Gefühl der sozialen Geborgenheit ist noch wichtiger."
Eine Schachtel Triptane - dem vermeintlichen Wundermittel für Migräne-Patienten - trage sie noch immer stets bei sich, sagt Maria H. "Wer Migräne ohne Schmerzmittel aushalten will, muss verrückt sein." Allerdings weiß sie auch, dass zu viele Schmerzmittel eine Nebenwirkung haben können, die ganz und gar nicht erwünscht ist: Kopfschmerzen.

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