"Wer Obama wählt, riskiert einen Holocaust"

Neun Tage vor der Wahl des US-Präsidenten am 4. November kämpfen die Republikaner immer rücksichtsloser um den Sieg. In Schmutzkampagnen versuchen sie, Stimmung gegen den Kandidaten der Demokraten, Barack Obama, zu machen.

Philadelphia/Columbus. Die E-Mail, die bei rund 75 000 Wählern jüdischen Glaubens im US-Bundesstaat Pennsylvania einging, war kurz gehalten - und deutlich. "Liebe Glaubensfreunde", hieß es, "jüdische Amerikaner dürfen am 4. November nicht die falsche Entscheidung treffen. Viele unserer Vorfahren ignorierten die Warnzeichen um 1930 und 1940 und begingen tragische Fehler." Dann wird das Schreiben, unterzeichnet vom "Republikanischen Kommittee Pennsylvania für den Sieg 2008", präziser. Wer den außenpolitisch unerfahrenen Barack Obama John McCain vorziehe, heißt es, riskiere damit angesichts der Bedrohungen Israels durch seine regionalen Nachbarn "einen zweiten Holocaust".

Neun Tage vor der Wahlentscheidung wird immer rücksichtsloser um den Sieg in jenen Schlüsselstaaten gefochten, die für den Einzug ins Weiße Haus den Ausschlag geben können. Die in Pennsylvania praktizierte Wählermobilisierung sorgte für so heftige Proteste der Demokraten, dass sich ein Sprecher der Republikaner zu Schadensbegrenzung und einer Entschuldigung genötigt sah. Der Verfasser der Mail, der konservative Berater Bryan Rudnick, habe den Text ohne Genehmigung der Parteiführung verschickt, man werde sich von ihm trennen, es werde eine Korrektur geben. Rudnick behauptet, grünes Licht gehabt zu haben.

Dass bei konservativen Veranstaltungen immer wieder genüsslich formuliert wird, man müsse einen Sieg von "Barack Hussein Obama" verhindern, gehört ebenfalls zu einer Strategie, die angesichts der Führung des 47-jährigen Senators in den Umfragen vor allem Zweifel an dessen patriotischer Zuverlässigkeit wecken soll. Dazu zählt auch eine Faltkarte, die in der Zentrale der Republikaner in Columbus (Ohio) für den Versand vorbereitet wurde. Auf dem Titel der Karte: Ein Foto Obamas, ein Foto des früheren linksradikalen Aktivisten und heutigen Universitätsprofessors Bill Ayers - und das Wort "Terrorist". Für Aufregung haben auch die "Robocalls" aus dem McCain-Lager gesorgt - automatisierte Anrufe bei Wählern, mit denen Gerüchte über den Demokraten verfestigt werden sollen. So konnten zehntausende von Bürgern in Ohio, Pennsylvania, Florida, Colorado und West Virgina dem Wortlaut lauschen: "Ich rufe im Auftrag von John McCain an. Sie sollten wissen, dass Barack Obama eng mit Terrorist Bill Ayers zusammengearbeitet hat, dessen Organisation Bombenanschläge verübt und Amerikaner getötet hat." Obama bezeichnet Ayers lediglich als "flüchtigen früheren Bekannten".

Auch christlich-konservative Gruppen schalten sich verstärkt in den Wahlkampf-Endspurt ein. Die Gruppe "Focus on the Family" ("Auf die Familie konzentrieren") prophezeite in einem fiktiven "Brief aus 2012 in Obamas Amerika" folgende Szenarien: Ein von Demokraten dominierter Oberster Gerichtshof werde die Homo-Ehe absegnen und Pfadfinder dazu zwingen, mit schwulen Gruppenleitern im Zelt zu schlafen. Amerika werde neue Terrorattacken erleben. Russland werde das Baltikum und Staaten wie Polen und die Tschechische Republik besetzen. Bürger über 80 würden in den USA nicht mehr in Krankenhäuser aufgenommen werden. Israel werde von einem nuklearen Sprengsatz getroffen werden.

Meinung

Eisberg voraus!

John McCain, der immer mehr den Eindruck eines zornigen alten Mannes erweckt, hat noch einmal die Tonart verschärft und stellt Barack Obama als gnadenlosen Sozialisten europäischer Prägung dar. Zugleich zielen McCains Fußtruppen darauf ab, Obama als "un-amerikanisch" und zweifelhaften Patrioten darzustellen - und scheinen dabei jedes Augenmaß verloren zu haben - wie mit der Behauptung, Israel drohe unter Obama ein nuklearer Holocaust. Diese Strategie mag zwar kurzfristig den konservativen Kern der Partei reanimieren. Doch jene Unabhängigen und Wechselwähler, die das Zünglein an der Waage spielen, dürften sich angewidert abwenden. Hinzu kommt, dass McCains "Geheimwaffe" Sarah Palin vor allem mit Rohrkrepierern zu kämpfen hat. 150 000 Dollar für ein neues Outfit spiegeln nicht gerade den Lebensalltag einer von der Wirtschaftskrise geplagten durchschnittlichen amerikanischen Mutter wider. John McCain wird ein Wunder brauchen, um das Ruder auf einem Schiff herumzureißen, das auf einen Eisberg zusteuert. nachrichten.red@volksfreund.de

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