Wirtschaftsweiser rügt Regierung

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält die Finanzpolitik der Bundesregierung für grundfalsch. Anstatt Steuern zu senken solle sie lieber unsinnige Vergünstigungen streichen, sagt er im TV-Interview.

Berlin. (vet) Im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter macht der Wirtschaftsweise Peter Bofinger konkrete Vorschläge, wie die Regierung Schulden senken könnte.

Herr Bofinger, allein der Bund sitzt auf einem Schuldenberg von einer Billion Euro. Kommt er davon jemals wieder vollständig herunter?

Bofinger: Nein, und das ist auch nicht nötig. Denn die Schulden des Bundes sind auf der anderen Seite solide Anlagen von Lebensversicherungen, Banken und auch privaten Haushalten. Nicht umsonst gelten Bundesanleihen als die sichersten Kapitalanlagen in der Welt.

Also kein Grund zur Sorge?

Bofinger: Man muss die Verschuldung des Staates in Bezug zur Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft setzen. Gemessen am Bruttosozialprodukt liegt die deutsche Gesamtverschuldung bei 80 Prozent. Eine solche Schuldenstandsquote ist natürlich ein Problem, aber kein Grund zur Panik, wenn man sich die internationale Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Verschuldungsdramatik in den meisten anderen Ländern vor Augen hält.

Worauf kommt es aus Ihrer Sicht an?

Bofinger: Entscheidend bleibt, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt wieder wächst. Dann ist bei einem konstanten Schuldenstand auch die Schuldenstandsquote wieder rückläufig.

Die Bundesregierung will das Wirtschaftswachstum durch weitere Steuersenkungen beflügeln. Ein richtiger Grundansatz?

Bofinger: Der Ansatz ist grundfalsch, weil er von der irrigen Annahme ausgeht, dass sich Steuersenkungen quasi selbst finanzieren. Die Regierung Merkel/Westerwelle erinnert mich an ein Paar, das die Ehe mit einem hohen Schuldenberg beginnt, aber wie zum Hohn erst mal eine teuere Weltreise unternimmt.

Was soll das genau heißen?

Bofinger: Wenn man im Laufe dieses Jahrzehnts wieder ausgeglichene öffentliche Haushalte erreichen will, fehlen Bund und Ländern dafür rund 75 Milliarden Euro. Schon deshalb passen zusätzliche Steuersenkungen nicht in die Landschaft, zumal sich Bund und Länder obendrein noch eine ehrgeizige Schuldenbremse verordnet haben. Ich kann die Länder nur ermutigen, bei ihrem Kampf gegen die geplanten Steuersenkungen hart zu bleiben. Man kann nicht von den Ländern verlangen, mehr in die Bildung zu investieren, aber ihnen gleichzeitig Einnahmen wegnehmen.

Was empfehlen Sie, um die staatlichen Haushalte zu konsolidieren?

Bofinger: Ich würde mich auf die Streichung von Vergünstigungen konzentrieren, die den Staat Geld kosten, aber gleichzeitig zu negativen Effekten führen. Ganz oben auf der Liste steht die Abgeltungssteuer auf Zinseinnahmen, die dazu führt, dass solche Einnahmen nur mit 26,4 Prozent versteuert werden müssen, was Spitzenverdiener begünstigt, die ansonsten 47,5 Prozent bezahlen müssten. Die Abgeltungssteuer animiert dazu, das Geld zu bunkern anstatt es zu investieren. Eine weitere Maßnahme wäre, die 400-Euro-Jobs regulär zu versteuern. Die steuerliche Freistellung von 400-Euro-Jobs kostet den Staat mehrere Milliarden Euro und führt dazu, dass Vollzeit- in Teilzeitjobs aufgespalten werden.

Haben Sie noch weitere Vorschläge?

Bofinger: Auch die Riester-Förderung für Gutverdiener macht keinen Sinn. Für Einkommensschwache ist die staatliche Zulage sicher sinnvoll. Aber warum man einen Professor steuerlich fördert, wenn er seine ohnehin geplante Ersparnis in einem Riester-Topf verwirklicht, will sich mir nicht erschließen. In die falsche Richtung geht auch die Ökosteuerbefreiung für Unternehmen. Rechnet man alles zusammen, dann könnte der Staat durch die Streichung dieser Vergünstigungen pro Jahr mindestens zehn Milliarden Euro mehr in der Kasse haben.

Und die vom Bundesrechnungshof angeregte Abschaffung der Steuerfreiheit von Feiertags- und Nachtzuschlägen kommt für Sie nicht infrage?

Bofinger: Das würde Arbeitnehmer betreffen, die in den vergangenen Jahren ohnehin schlecht weggekommen sind. Deshalb käme das für mich nur im äußersten Notfall in Betracht. extra Der Bund bleibt hart: Der Bund bleibt im Steuerstreit mit den Ländern hart. Es werde kein Herauskaufen einzelner oder aller Länder geben, um die Zustimmung des Bundesrates für das umstrittene Steuersenkungspaket zu erreichen, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans am Mittwoch in Berlin. Der Bundesrat entscheidet am Freitag nächster Woche. Zu einem geplanten Treffen am Sonntagnachmittag von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und FDP-Chef Guido Westerwelle mit Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen wollte sich Steegmans nicht äußern. Die Gespräche mit den Ländern dauerten an, hieß es lediglich.Zur Person Peter Bofinger (55, Foto: dpa) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Würzburg und seit 2004 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (die fünf Wirtschaftsweisen).

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