Zähne oder Krankengeld?

TRIER. Bei der ersten Lesung im Bundestag zur Gesundheitsreform wurde deutlich, dass Bundesregierung und Union gar nicht soweit auseinander liegen mit ihren Vorstellungen. Experten gehen von einem baldigen Kompromiss aus. Knackpunkte sind das Krankengeld und der Zahnersatz.

Die einen (die Koalition) nennen es Gesundheitsmodernisierungsgesetz, die anderen (die Union) überschreibt ihr Reformpapier mit der Forderung "Für ein freies, humanes Gesundheitswesen statt Staatsmedizin und Bevormundung." Meinen tun sie beide das gleiche: Die Versicherten sollen stärker zur Kasse gebeten werden. Im Grunde sind sich Regierung und Union einig. Kein Wunder, dass man sich trotz des üblichen Geplänkels gestern im Bundestag die Hand reichte. Das Ziel ist klar: Die Beitragssätze der Kassen sollen von derzeit 14,4 auf 13 Prozent sinken. Doch ohne weitere Belastungen der Versicherten geht es nicht. Nun wird nur noch darum gestritten, wie die in beiden Entwürfen als Eigenverantwortung der Patienten titulierte Belastung aussehen wird. Es wird darauf hinauslaufen, dass Rot-Grün die von den Gewerkschaften bislang mehr oder weniger stillschweigend geschluckte Änderung der Krankengeld-Finanzierung opfern wird und man sich mit der Union auf die zusätzliche Pflichtversicherung für den Zahnersatz einigt. Ein Vorschlag, der übrigens bereits von der von Bundeskanzler Schröder eingesetzten Rürup-Kommission bereits kam: Zahnersatz soll nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Schröder hautejedoch bei seiner berüchtigten "Ruck"-Rede im März kräftig auf den Tisch und sagte: Den sozialen Standard der Bürger dürfe man nicht an den Zähnen erkennen. Statt dessen wagte er sich lieber an die heilige Kuh Krankengeld heran. Künftig sollte die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach sechs Wochen vom Arbeitnehmer selbst versichert werden. Die Union, selbst heillos zerstritten in Sachen Gesundheit, besann sich auf Rürup und sagte sich, so schlecht waren die Ergebnisse der Regierungskommission eigentlich nicht. So finden sich einige - wenn auch leicht umformulierte - Ideen aus der Arbeitsgruppe im Unions-Papier wieder. Eben auch die Forderung Zahnersatz-Behandlungen künftig gar nicht mehr von den Kassen bezahlen zu lassen. Stattdessen sollen sich alle Versicherten dafür pflichtversichern und 7,50 Euro pro Monat bezahlen (Kinder sollen beitragsfrei mitversichert sein), damit sie die Leistungen beim Zahnersatz bekommen, die sie bislang auch bekommen. Im günstigsten Fall - bei regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen - wird aber auch trotz Pflichtversicherung nur die Hälfte der Kosten übernommen. Um 0,36 Prozentpunkte will die Union damit die Beitragssätze reduzieren. "Endlich ein Schritt in die richtige Richtung", jubeln die Zahnärzte. "Die Eigenverantwortung des Patienten muss gestärkt werden", begründet Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, den Beifall für die Unions-Vorschläge. "Die CDU liegt uns da einfach näher als der Gesetzentwurf von Rot-Grün." Den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog zu streichen, sei eine echte Modernisierung gegenüber dem, was die Bundesregierung vorhabe. Außerdem fordern die Zahnärzte, dass die gewährten Zuschüsse für die Patienten sich nicht mehr wie bisher an der Behandlung orientieren sondern am Befund. Damit hätten die Versicherten mehr Wahlfreiheit bei der Art der Behandlung, sagt Oesterreich. Gesundheitsexperten gehen davon aus, das sich die Vorschläge der Union bezüglich Zahnersatz in einem Kompromissvorschlag beider Seiten wieder finden werden. Ob nun Krankengeld oder Zahnersatz auf den Altar gelegt werden - das ist offenbar nur noch eine Grundsatzentscheidung. Großen Einfluss auf die Beitragsentwicklung haben diese Leistungskürzungen ohnehin nicht. Entscheidender sind die wirklichen Strukturveränderungen. Und dabei liegen Union und Rot-Grün gar nicht soweit auseinander. Beide wollen nämlich, dass die Kassen Direkt-Verträge mit Ärzten abschließen dürfen. Und darin dürfte auch die Chance liegen - für einen Kompromiß und eine echte Reform.

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