Gregor Gysi gibt sich einen Ruck

Berlin · Abschiedsrede mit gewohnt klaren Worten: Gregor Gysi, prominenter Oppositionsmann aus dem Osten, wünscht sich mehr soziale Gerechtigkeit - und von den Parteien im Deutschen Bundestag mehr Respekt für die Linkspartei.

Berlin. Um 9.25 Uhr ist es so weit. Gregor Gysi faltet die Hände: "Nun muss ich mir aber einen Ruck geben." Es wird ein mehrfacher Ruck. Der Mann, der nie loslassen konnte, verabschiedet sich im Bundestag als Fraktionsvorsitzender der Linken. Er ist länger in diesem Amt als es Herbert Wehner bei der SPD war, 20 Jahre lang. "Gregor", hat er sich gesagt, "übertreib es nicht." Freilich, um eine Scheidung und drei Herzinfarkte hat er es bis zu diesem Freitag schon übertrieben.
Der Mann, der so bissig austeilen konnte, sagt auch ausdrücklich "Danke" zum ganzen Haus, und dann nennt er die anderen Abgeordneten zum ersten Mal "Kolleginnen und Kollegen". Das ist vielleicht der größte Ruck.
Bisher, sagt er, habe er diese Anrede immer vermieden. So richtig aufgefallen war das nie. "Wegen mancher Verletzung, auch im Immunitätsausschuss", erfährt man. Gemeint sind die Stasi-Vorwürfe gegen ihn. Der 67-jährige einstige DDR-Anwalt und PDS-Mitbegründer ist altersmilde geworden. Aber er fordert mit einem Appell an die Union diese Milde auch gegenüber seiner Partei. Man solle endlich aufhören, die Linke auszugrenzen.
Gysi ist ein Dialektiker und würzt seinen Vortrag mit einem "dialektischen" jüdischen Witz: Der Rabbi habe ihm verboten, beim Beten zu rauchen, klagt da einer. "Du Depp", sagt der andere. "Hättest fragen sollen, ob du beim Rauchen beten darfst." Für Gysi geht immer beides, zumal wenn es wie jetzt um die deutsche Einheit geht. Ein Lob für die Errungenschaften der Einheit, die Freiheit, den Mauerfall, und, fast im gleichen Atemzug, die Klage über die Opfer der Treuhandanstalt, die unterschiedlichen Löhne und Renten. Das war immer seine Methode.

Begegnung auf Augenhöhe


Gysi hat den Stolz der Ostdeutschen nicht mit verklärender DDR-Romantik angesprochen. Sondern weil er als Person den "Wessis" wie kaum einer sonst auf Augenhöhe begegnen konnte. Nicht nur rhetorisch im Bundestag und in den Talkshows. Sondern auch intellektuell. Auch in seiner brillanten Abschiedsrede gibt er ein Beispiel dafür, dass aus dem Osten manchmal die pfiffigeren Ideen kommen: Er spricht darüber, wie man die Demokratie wieder interessanter machen könnte. Zum Beispiel, schlägt er vor, mal zwei Abgeordnete sich eine Stunde lang im Bundestag direkt duellieren zu lassen, etwa er gegen Unionsfraktionschef Volker Kauder. Auch solle die Bundestagswahl mit einer Volksabstimmung verbunden werden, bei der jede Partei eine Frage formulieren dürfe. Natürlich dürfe es dabei nicht um haushaltswirksame Ausgaben gehen, "da würde meine Fraktion mit einer Frage gleich zwei Haushalte verbrauchen".
Auch diese Selbstironie wird jetzt seltener zu hören sein im Parlament, weil Gysi nun nur noch einfacher Abgeordneter ist. Als er zu seinem Platz geht, klatschen Linke, SPD und Grüne. Und sogar bei der Union rühren sich ein paar Hände. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) rügt hinterher ganz milde das Überziehen der Redezeit, so wie er das bei fast jeder der 200 Gysi-Reden rügen musste, die seit 2005 gehalten wurden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort