Naht die Regentschaft der Roboter?

Washington · Mit voller Wucht ist ein zweites Maschinenzeitalter angebrochen. Was bedeutet das für Arbeit und Zusammenleben? In den USA schlägt die Debatte hohe Wellen. Sie ist dort von Sorge geprägt, während deutsche Experten auch große Chancen sehen.

Washington. Geht der Mensch den Weg der Pferde? Vom untrennbaren Bestandteil der Arbeitswelt in die Verzichtbarkeit und Welt der Freizeit? Fakt ist: Roboter, Computerprogramme und Maschinen dringen in fast jeden Bereich unserer Arbeit vor. Sie lernen zu gucken und zu sprechen. Sie geben Menschen die Hand. Sie werden schlau. Die Arbeitsmaschinen ersetzen längst nicht mehr nur schlichte Routine-Jobs und Fabrikarbeit. Sie übernehmen die Tätigkeiten ganzer Branchen. Je stärker der Einfluss von Daten und Automatisierung voranschreitet, umso spannender wird die Frage, welche Rolle der Mensch im Arbeitsleben noch spielt.
Braucht heute noch jemand Arbeitspferde? Um die digitale Revolution heute zu begreifen, lohnt ein Blick zurück: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnt das erste Maschinenzeitalter. Ganz zentral dabei: die Dampfmaschine. Mit der industriellen Revolution ist nicht nur der allmähliche Rückzug des Pferdes aus Verkehr, Landwirtschaft und Militär eingeläutet. Neben die Elektrifizierung und Motorisierung tritt die Mechanisierung - Muskelkraft wird auf breiter Front ersetzt. Der Mensch bleibt Kontrolleur und Steuermann.
Nun ist eine neue Ära angebrochen, die manche Forscher das zweite Maschinenzeitalter nennen. Maschinen und Programme werden vor kaum etwas halt machen. Auch nicht vor der Geisteskraft. Bei der Erfindung des Computers hieß es noch, etwa vom Hersteller IBM, die Geräte würden nur das machen können, wozu sie programmiert seien. Das gilt nicht mehr, wenn Maschinen lernen. In Gestalt selbstfahrender Fahrzeuge werden sie Taxi- und Busfahrer ersetzen, Chauffeure, Baggerführer und Lastwagenfahrer. Über Autobahnen dürften künftig lange Kolonnen führerloser Gefährte rollen. Maschinen werden anstelle von Architekten Häuser entwerfen. Sie übernehmen Schwertransporte und Controlling, Übersetzungen und medizinische Diagnosen. Manche mixen Drinks, andere reparieren Uhren, sortieren Bibliotheken, regeln den Verkehr, nehmen an Kriegen teil, kochen in Restaurants, ernten Felder ab und makeln Häuser.
Pflege, Kliniken, Kraftwerke, Labors, Kanzleien, Sekretariate und Call-Center: Es werden nicht nur Werkbänke leer geräumt, sondern auch Schreibtische und Bildschirmarbeitsplätze.
Eine in Washington vorgelegte Umfrage des Pew-Instituts unter fast 1900 Wissenschaftlern belegt: An Fließbändern und in Fabrikhallen sind Roboter lange Alltag. Jetzt, sagt die Hälfte der befragten Forscher, geht es in die Büros. Martin Ford, US-Autor, Technikexperte und erfahrener Silicon-Valley-Hase, stellt fest: "Fast jeder Job, an dem jemand vor einem Bildschirm sitzt und Informationen verarbeitet, ist bedroht."
Studien sind sich einig: Die Roboter marschieren. 61 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland sind mit einem Computer ausgestattet. Das Mannheimer Forschungsinstitut ZEW hat errechnet, dass in Deutschland gut fünf Millionen Jobs leicht automatisierbar wären.
Auf dem jüngsten Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz wurde eine Studie vorgestellt, die in den nächsten fünf Jahren den Wegfall von fünf Millionen Arbeitsplätzen in den Industrieländern voraussagt.
Eine aufsehenerregende, allerdings auch umstrittene Prognose der britischen Universität Oxford sah schon 2013 im Lauf der nächsten 20 Jahre jeden zweiten Job in den USA von Automatisierung, Mechanisierung oder Digitalisierung bedroht. Je komplexer der Beruf, umso sicherer sei er.
Deutlich optimistischer stimmen die Ergebnisse deutscher Forscherinnen. Katharina Dengler und Britta Matthes vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg haben untersucht, wie viele Beschäftigte aktuell in Berufen arbeiten, die von Computern erledigt werden könnten. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass der Mensch in kaum einem Beruf vollständig ersetzbar ist, da es fast immer Tätigkeiten gibt, die Maschinen nicht ausführen können. Nur 15 Prozent der Angestellten arbeiten in Berufen, in denen mehr als 70 Prozent der Tätigkeiten von Robotern übernommen werden könnten. Ein Risiko stellt die fortschreitende Automatisierung demnach für Berufe in der Fertigung, in der Unternehmensführung und -organisation oder in der IT dar. Ärzte, Reinigungskräfte, Sicherheitsberufe, Lehrer oder Erzieher hingegen sind kaum zu ersetzen. Dengler betont, dass der Weiterbildung eine wichtige Rolle zukommen wird - nicht nur für Geringqualifizierte, sondern auch für Fachkräfte.
Wie Dengler sehen Experten in der Region Trier aber auch Chancen in der Digitalisierung und Automatisierung. Da neue Jobs entstehen und es für Unternehmen dank der modernen Technik trotz höherer Lohnkosten attraktiv wird, sich in Deutschland anzusiedeln, müsse es unterm Strich nicht zwangsläufig weniger Arbeit geben als zuvor (siehe Text oben).
Auch du, Wallstreet! Wer dachte, die neue Automatisierung schreite nur in Zweigen voran, deren Tätigkeit überwiegend aus Wiederholungen besteht, irrt. Es geht auch um viele anspruchsvolle Jobs. Dazu gehören zum Beispiel Aufgaben in Kanzleien. Dort kann Software Zehntausende Dokumente in einer Zeit durchsuchen, für die der Mensch ein Vielfaches braucht. Und es geht um die Finanzwirtschaft.
Geldautomaten und Self-Service-Center haben schon längst reihenweise Bankangestellte ersetzt. Dann drang die Automatisierung in die höheren Stockwerke vor. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Finanzangestellten an der Wall Street um etwa 50 000 gefallen. Das ist rund ein Drittel. Hochfrequenzprogramme wickeln Hunderttausende Transaktionen ab, entscheiden binnen Sekundenbruchteilen über Kau fen und Verkaufen, ohne dass ein einziger Mensch damit zu tun hätte.
Daniel Nadler hat ein Programm mit dem Namen Kensho erfunden, ein Analyseprogramm für den Finanzhandel. Im Magazin der New York Times sagt er: Binnen der nächsten zehn Jahre werde seine und andere Software bis zur Hälfte aller Angestellten im Finanzsektor ersetzen. Angesichts des rasenden Erfolgs der Software nicht unrealistisch.
Nach der Automatisierung ist der nächste Schritt dann die künstliche Intelligenz, an der nicht nur in Kalifornien intensiv geforscht wird. Zu den größten Mahnern gehört der britische Physiker Stephen Hawking. Er empfindet künstliche Intelligenz als zutiefst bedrohlich für den Menschen. Ray Kurzweil vom US-Internetkonzern Google schätzt, dass 2029 Maschinen schlauer sein werden als Menschen.
Muss die Revolution der Maschinen eine der Erziehung bedeuten? Dabei gilt: Alles, was eine Maschine besser kann als ein Mensch, dürfte die Maschine künftig erledigen. Körperliche Fähigkeiten werden dann weniger gefragt sein. Ein australischer Bauroboter mauert bereits ein ganzes Haus in nur zwei Tagen. Reines Technikwissen hilft aber vermutlich ebensowenig im Wettlauf mit den Maschinen. Komplexes Problemlösen dagegen umso mehr.
Also müsste sich manches in Bildung und Ausbildung ändern, fordern Experten. Der US-Autor und Ökonom Tyler Cowen meint grundsätzlich: "Durchschnittlichkeit ist vorbei."
Und wo bleibt die Revolution in Schulen und Universitäten? Warum sollen junge Menschen wie früher Wiederholen und Auswendiglernen können müssen, wenn die Maschinen in dem Feld besser sind? Ryan Holmes sieht dort eine zentrale Aufgabe. Der Unternehmer und Erfinder der Plattform Hootsuite, mit der man mehrere Social-Media-Netzwerke auf einmal verwaltet, sagt: Herausragende und einmalige menschliche Fähigkeiten zu kultivieren, bedeute eine völlig andere Erziehung. Weg von jeder Uniformität. Hin zur Außergewöhnlichkeit.
Wem das zweite Maschinenzeitalter und viele Prognosen zu düster scheinen, für den formuliert Holmes ein Ziel: "Investiert in Fähigkeiten, die eine Maschine nicht reproduzieren kann. Es geht um höhere Funktionen: Kreativität, Problemlösung, Erfindungsgabe." dpa/Mos

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