US-Polizist erschießt erneut Afroamerikaner

St. Louis · Wieder hat ein weißer Polizist einen jungen Afroamerikaner erschossen. Wieder gibt es zwei völlig verschiedene Versionen über die Hintergründe, eine amtliche und eine von empörten Anwohnern.

Nach der ersten griff der Beamte aus Notwehr zu seiner Pistole, nach der zweiten beging er einen kaltblütigen Mord. So umstritten die Details sind, die Parallelen liegen klar auf der Hand: Im August war Michael Brown, ein unbewaffneter schwarzer Teenager, von einem weißhäutigen Officer erschossen worden. In Ferguson, einem Vorort im Norden der weitläufigen Metropole St. Louis, hatte sein Tod schwere Unruhen ausgelöst.

Diesmal liegt der Schauplatz im Süden der Stadt, in einem Viertel namens Botanical Heights, nicht weit vom Botanischen Garten. Dort erregte Vonderrit Myers, ein 18 Jahre alter Afroamerikaner, am Mittwochabend den Verdacht eines Ordnungshüters, warum, ist vorläufig unklar. Der Polizist war zu jener Zeit nicht im Dienst, vielmehr fuhr er in seinem Zweitjob, beschäftigt bei einer privaten Sicherheitsfirma, durch die Straßen von Botanical Heights.

Folgt man Samuel Dotson, dem Polizeichef von St. Louis, heftete er sich abends gegen halb acht an die Fersen dreier junger Männer, in denen er offenbar Kriminelle sah. Nach der offiziellen Darstellung fuhr er dem Trio eine Weile hinterher, irgendwann stieg er aus seinem Auto, um die Verfolgungsjagd zu Fuß fortzusetzen. In einem Hausdurchgang sei es zu einem Handgemenge mit Myers gekommen, worauf sich der Teenager losgerissen habe und einen Hügel hinaufgerannt sei. Von dort habe er geschossen, mindestens dreimal, bis eine Ladehemmung seine Waffe unbrauchbar machte. Der Beamte habe das Feuer erwidert, insgesamt habe er 17 Schüsse abgegeben, sagt Dotson. Aus Notwehr.

Teyonna Myers, eine Cousine des toten Jungen, erzählt eine ganz andere Geschichte. "Vonderrit war unbewaffnet", sagte sie dem St. Louis-Post Dispatch, einer Lokalzeitung. "In der Hand hatte er ein Sandwich, und der Polizist dachte, es sei eine Knarre. Es ist wie bei Michael Brown, es ist haargenau dasselbe."

So wie die Kugeln auf Brown den Kessel von Ferguson mit seinem angestauten Frust explodieren ließen, könnten die Schüsse auf Myers die Stadt St. Louis von Neuem ins Chaos stürzen. Die Nerven liegen ohnehin blank. Bereits seit August berät eine Runde von Geschworenen, ob Darren Wilson, der Polizist, der auf Brown feuerte, vor ein Gericht gestellt werden soll. Je länger sich die Beratungen hinziehen, ohne dass etwas geschieht, desto mehr wachsen die Spannungen, vor allem in den Wohnvierteln schwarzer Amerikaner.

In der Nacht zum Donnerstag versammelten sich rund 300 Demonstranten, um gegen Gesetzeshüter zu protestieren, in deren Reihen sie den Finger zu schnell am Abzug sehen. "Black lives matter!", skandierte die Menge - auch das Leben von Schwarzen zähle. Und: "Whose Streets? Our Streets!" ("Wessen Straßen? Unsere Straßen!") Autos wurden beschädigt, die Polizei riegelte das Gebiet weiträumig ab, ein Hubschrauber knatterte über Botanical Heights hinweg. "Erneut an einem Tatort. Wieder ein junger Mann tot. Das passiert viel zu oft in unserer Stadt", meldete sich Antonio French, ein afroamerikanischer Ratsherr, via Twitter zu Wort.

Es sind Szenen, die an den Sommer in Ferguson denken lassen. Der Unterschied ist: Anders als Michael Brown war Vonderrit Myers vorbestraft. Vor Kurzem gegen eine Kaution aus dem Gefängnis entlassen, musste er eine elektronische Fessel am Fußgelenk tragen, damit die Polizisten jederzeit wussten, wo er sich befand.

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