Verfolgte Unschuld im Angriffsmodus

Berlin · Die AfD will den nächsten Bundespräsidenten stellen. Als Parteichefin Frauke Petry das ankündigt und den Kandidaten, den früheren CDU-Politiker Albrecht Glaser, 74, in der Stuttgarter Messehalle vorstellt, lacht keiner. Im Gegenteil, tosender Jubel brandet auf. Die Alternativen strotzen nach ihren Wahlerfolgen vor Selbstbewusstsein.

Berlin. "Unser Ziel ist der Einzug in den Bundestag" ruft der stellvertretende Parteivorsitzende Alexander Gauland aus, und Petry sagt "wir wollen Mehrheiten erringen". Wie zum Beweis ist ein richtiger Präsident als Gast gekommen, Vaclav Klaus, ehemaliges Staatsoberhaupt Tschechiens. Klaus fordert die AfD auf, konsequent zu bleiben. "Sie müssen die vernichtende politische Korrektheit ablehnen!" Das wird bejubelt. Jörg Meuthen, der Co-Vorsitzende, spricht anschließend verächtlich von den "Konsensparteien" und sagt, man müsse "weg vom links-rot-grün verseuchten 68er Deutschland". Als alle aufstehen und rhythmisch "AfD, AfD" rufen, sagt er noch: "Meinetwegen auch vom versifften 68er Deutschland."
Der vorgelegte Leitantrag des Vorstandes mit einer scharfen Abgrenzung zum Islam wird fast unverändert mit großer Mehrheit angenommen. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", steht darin. Es wird ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen wie Schülerinnen gefordert, Minaretts und Muezzin-Rufe werden abgelehnt. Ein Redner, der vor Pauschalisierungen warnt, wird ausgebuht, und ein Anwalt, der die Abgrenzung auf den "politischen Islam" begrenzt wissen will ("Es gibt so' ne und so'ne bei denen"), ebenfalls. "Der Islam ist per se politisch", lautet das Gegenargument.
Dass es nicht noch radikaler wird, ist Frank Hansel zu verdanken. Der 40-Jährige kandidiert im Herbst bei der Wahl in Berlin; er war früher SPD-Mitglied. Seine größte Sorge sei, sagt er vor Beginn, dass die "Patriotische Plattform" das Klima des Treffens bestimmen werde. Patriotische Plattform nennen sich die Knallrechten. Sie haben einen Antrag vorbereitet, der auch den "Bau und Betrieb" von Moscheen verbieten will sowie das Schächten, was jenseits der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit liegt.
Als die Mitglieder am Samstag schon über zwei Stunden darüber gestritten haben, was überhaupt auf die Tagesordnung kommen soll, beantragt Hansel, nur noch über den Leitantrag des Vorstands zu diskutieren. Dafür bekommt er eine knappe Mehrheit und damit wird über die von den Rechten eingebrachten Gegenentwürfe gar nicht mehr offiziell beraten. Das Abstimmungsverhältnis von 1000 gegen 800 markiert ungefähr die Verhältnisse zwischen rechts und ganz rechts. Ob es für die AfD repräsentativ ist, ist unklar. Denn jedes Mitglied darf in Stuttgart mitstimmen. Über 2000 sind gekommen.
Ihre Anmeldedaten werden am Sonntag samt Privatadressen und Handynummern von Linksaktivisten im Internet verbreitet. Die Partei erstattet Strafanzeige wegen des Datenklaus. Der Vorgang verstärkt das ohnehin verbreitete Gefühl vieler Mitglieder, die verfolgte Unschuld der Politik zu sein.
Am Sonntag beschließt der Parteitag unter großem Jubel, die Fernsehgebühren abzuschaffen und ARD und ZDF zum Bezahlfernsehen zu machen. Wer sich belügen lassen wolle, sagt einer, der solle dafür selbst bezahlen.
Zwei Tage lang kämpfen sich die Versammelten sehr diszipliniert durch die 1400 Anträge. Gemessen an der Komplexität ist das Ganze im Vergleich zu den Parteitagen der großen Parteien außerordentlich professionell organisiert. Und ziemlich basisdemokratisch. Immer, wenn es in die Tiefe geht, kommen allerdings auch interne Widersprüche zutage.
Die Frauen zum Beispiel wollen die im Leitantrag vorgesehene Erschwerung von Abtreibungen nicht so einfach hinnehmen, auch nicht die kritischen Passagen zur Krippenbetreuung. "Wenn wir das beschließen, verlieren wir viele Wählerinnen", sagt eine. Sie können aber nur verhindern, dass der Paragraf 218 gleich ganz infrage gestellt wird, was der Parteinachwuchs Junge Alternative fordert. Einige Teilnehmer verlassen Stuttgart nicht beflügelt, sondern frustriert.Meinung

Die wird man so einfach nicht los
Die AfD strotzt vor Selbstbewusstsein. Zwar belauert sich die Führung, zwar suchen nationalpatriotische Kräfte nach mehr Einfluss, doch im Moment hat die Partei das im Griff. Erfolge bei den nächsten Landtagswahlen und der Einzug in den Bundestag sind aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich. Und zwar, das ist auch eine neue Erkenntnis seit dem Stuttgarter Parteitag, unabhängig davon, ob der Flüchtlingsstrom anhält oder ob die Griechenlandkrise erneut ausbricht. So schnell verschwinden die nicht wieder. Mit dem Programm von Stuttgart hat sich die AfD inhaltlich verbreitert und zur Sammlungsbewegung aller vom Politikbetrieb der letzten Jahrzehnte Enttäuschten gemausert. Diese Schicht, die mit Öko, Gender und Multikulti hadert, hat nun ein Ventil. Hinzu kommt als neues Thema die Ausrufung einer Art Kulturkampf gegen den Islam, das unterschwellig ebenfalls schon länger vorhanden war. Die anderen Parteien werden die AfD inhaltlich stellen müssen. Sie werden an jedem Punkt neu begründen müssen, warum ihre Positionen vernünftiger sind. Außerdem werden sie die AfD dort stellen können, wo sie ihre Wähler früher oder später enttäuschen wird: Die Alleinerziehenden mit ihrer Ablehnung von Kitas, die Geringverdiener mit ihrem Steuer-Stufenmodell, Menschen, denen an der Bewahrung der Natur gelegen ist. Die Summe aller frustrierten Einzelgruppen ergibt eben noch kein gemeinsames Interesse. Was nicht reicht, ist, die AfD einfach in die rechtsextreme Ecke zu stellen. Das wird nicht den Motiven ihrer Wähler gerecht und nicht einmal den Absichten eines großen Teils ihrer Mitglieder. Auch wenn es solche unter ihnen gibt.

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