Winnetou ist tot

Paris · Er war Winnetou. Für die alte Bundesrepublik gab es nur einen wahren Apachenhäuptling: Pierre Brice. Der Schauspieler ist im Alter von 86 Jahren in Frankreich gestorben. TV-Redakteure erinnern sich an die glanzvollen Zeiten.

Pierre Louis Baron de Bris ist in der Nähe seines Jagdschlosses gestorben. Für seine Fans heißt das kurz: Winnetou ist tot. Der französische Schauspieler Pierre Brice erlag am Samstag den Folgen einer Lungenentzündung. In den Augen von Millionen Westdeutscher hat er dem Apachenhäuptling ein Gesicht gegeben. Für sie tritt Winnetou erst jetzt den Weg in die "ewigen Jagdgründe" an.
In seinem Heimatland war Brice für manche Medien der "berühmte Unbekannte des französischen Kinos". Denn bekannt war Brice vor allem in Deutschland. Seine Karriere begann nach einem Debüt als Model in den 1950er Jahren mit kleinen Rollen für Film und Theater. Der spanische Film "Los atracadores" brachte ihn 1962 zur Berlinale nach Berlin.
Dort im Publikum: Horst Wendlandt. Der deutsche Produzent hatte für die geplante Verfilmung von Karl Mays "Schatz im Silbersee" bereits eine Zusage von Ex-Tarzan Lex Barker für die Rolle des Old Shatterhand. Es fehlte noch die Besetzung für den berühmten Indianer. Wendlandt soll sich gleich sicher gewesen sein: "Das ist mein Winnetou." Brice hatte zu diesem Zeitpunkt noch nie Karl May gelesen.
Zurückblickend erzählte der Schauspieler in einem Interview, er habe 80 Mal vor der Kamera gestanden. Und doch: "Elf Filme davon sind die wichtigsten." Es sind jene Wendlandt-Produktionen, die ihn als Winnetou auf Hengst Iltschi durch die Grassteppe Kroatiens reiten ließen.
An seiner Seite waren viele deutsche Schauspieler wie die damals noch weitgehend unbekannte Uschi Glas als Apanatschi, Götz George als deren Verehrer, Ralf Wolter in der Rolle des Sam Hawkens oder Mario Adorf, der als Mörder von Winnetous Vater und seiner Schwester Nscho-tschi zum Bösewicht erster Klasse wurde. Untermalt war die Indianerromantik von hochemotionalen Orchesterstücken Martin Böttchers, die bis heute bei Karl-May-Festspielen für Gänsehaut sorgen.
Im Interview spekulierte Brice vor einigen Jahren über den Grund seines Erfolgs ausgerechnet in der Bundesrepublik: Die Deutschen hätten sich nach dem Krieg wohl nach Romantik und Werten gesehnt, meinte er. Dafür stünden Winnetou und die Karl-May-Filme. Millionen Zuschauer ließen sich schon beim Erstling "Schatz im Silbersee" (1962) für knapp zwei Stunden in einen imaginären Wilden Westen entführen.
Den berühmten Tod Winnetous - in den Armen von Lex Barker als Old Shatterhand - quittierten die Fans 1965 dann auch mit Proteststürmen. Der Indianer durfte bis 1968 mit neuen Abenteuern auf die Leinwand zurückkehren. Später folgten noch Fernsehversionen und Auftritte bei den Karl-May-Festspielen in Elspe und in Bad Segeberg. Auch für den ZDF-Zweiteiler "Winnetous Rückkehr" zog sich der Franzose das Indianerkostüm 30 Jahre später nochmals über.
Gojko Mitic, der "Winnetou des Ostens" mit zahlreichen Defa-Indianerfilmen, hat gegen Brice im Westen des später vereinigten Deutschlands nicht bestehen können.
"Winnetou hat für mich die Tür geöffnet für den großen Erfolg", erinnerte sich Brice. So sei er "für Millionen von Zuschauern ein Idol geworden" - auch wenn es ihm schwerfalle, das selbst zu sagen, fügte der stets bescheiden auftretende Schauspieler hinzu.
Laut Karl May wurde die Figur seines Indianerhäuptlings am 2. September 1874 im Alter von 34 Jahren erschossen. Der für viele Deutsche wahre Winnetou Pierre Brice starb mit 86 Jahren in den in den Armen seiner Ehefrau Hella.

Den Höhepunkt seines Ruhms hat "Winnetou" aus der Feder von Karl May in den 60er und 70er Jahren in Deutschland erlebt. In zahlreichen Verfilmungen wurde der Apachenhäuptling zur Symbolfigur des edlen und friedfertigen Indianers - und traf damit den damaligen Zeitgeist. Der enorme Erfolg der Filme wird heute auf das tiefe Romantikbedürfnis in Deutschland zu dieser Zeit zurückgeführt.
An der Seite seines weißen Blutsbruders Old Shatterhand setzt sich Winnetou für Frieden und Gerechtigkeit ein. Seinen Ruhm begründeten vor allem die drei "Winnetou"-Filme, die ab 1963 unter der Regie von Harald Reinl ins Kino kamen. Eine gewisse Verklärung der Figur lässt sich auch in den Schriften Karl Mays nachverfolgen. Winnetou wurde als edler Wilder zu einem klaren Gegenentwurf der Indianerdarstellungen in den klassischen Western-Filmen.
Seit 1952 hat sich Bad Segeberg zu einem Mekka für Winnetou-Fans entwickelt. 1988 bis 1991 stand Brice dort selbst auf der Bühne. Auch in der Region gibt es Karl-May-Festspiele: Auf der Freilichtbühne in Pluwig eröffnen die Karl-May-Freunde mit "Der Ölprinz" am 17. Juli ihre achte Spielzeit. dpa

Diese Rolle hat ihn in Deutschland zum Idol einer ganzen Generation gemacht: Pierre Brice als Apachenhäuptling Winnetou, hier 1982 in Elspe (links). Der Schauspieler starb am Samstag mit 86 Jahren. Fotos (2): dpa

Frieden in den ewigen Jagdgründen

Religion und Pathos spielen in Karl Mays Wild-West-Romanen wie auch in seinen Orient-Abenteuern wichtige Rollen. Winnetous Freundschaft und Liebe zu Old Shatterhand geht so tief, dass sich der Häuptling der Apachen für seinen Blutsbruder opfert und dadurch viel zu früh zum großen Manitu gelangt - ein Schock für uns Fans.
Was haben wir nicht alles mit den beiden durchgemacht! Uns nächtelang durch 600 Seiten starke Bände gekämpft, Seite an Seite mit den Helden unserer Jugend. Es waren mehr als Kugelhagel aus Donnerstöcken und fliegende Tomahawks. Old Shatterhand und Winnetou waren Friedensbotschafter in einer rassistischen Welt, sozusagen mit einem robusten Mandat, wie es heute bei Missionen der Vereinten Nationen heißt.
Pierre Brice verkörperte perfekt die Figur eines furchtlosen Vermittlers. Bei den Karl-May-Festspielen in Elspe erlebte ich Brice live auf der Freilichtbühne, hoch zu Ross - erhabene Momente für die Ewigkeit.
m.hormes@volksfreund.de

Es wird keinen anderen geben


Wer eine Mutter hat, deren Zimmerwände Mitte der 60er Jahre die Bravo-Starschnitte von Winnetou und Old Shatterhand alias Pierre Brice und Lex Barker zierten, der hat kaum eine Wahl. Er wächst auf mit den Karl-May-Verfilmungen rund um die beiden Blutsbrüder. Schon klar, die Filme laufen an Feiertagen in Endlosschleife, man hat sie 100 Mal gesehn. Aber man kann sie trotzdem immer wieder anschauen. Was daran fasziniert? Die spannenden Geschichten, die traumhaften Landschaften, der charmante Humor, die unverwechselbaren Filmmelodien, die Gewissheit, dass am Ende immer alles gut ausgeht. Und eben Pierre Brice' Winnetou als Fixpunkt in diesem Wild-West-Universum. Kaum ein Fan wird nicht Rotz und Wasser geheult haben, als Brice in "Winnetou III" den Filmtod starb. Und nicht wenige werden auch jetzt nach der Nachricht vom Tod des Schauspielers wieder eine Träne verdrückt haben. Winnetou, das ist Pierre Brice - es wird nie ein anderer sein.
c.weber@volksfreund.de

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