Nichts in den Geldbeuteln

Seit Wochen schwelt in der Union die Diskussion darüber, wie man den Aufschwung an den Bürger möglichst bald weitergeben kann. Der Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel steigt - sowohl aus den eigenen Reihen als auch von ihren Gegnern.

Berlin. Angela Merkel und ihrem Fraktionschef Volker Kauder bläst der Wind zurzeit kräftig ins Gesicht: Immer mehr unzufriedene Parteifreunde stellen sich gegen den Kurs ihrer Führung und machen sich dafür stark, nicht nur den Haushalt zu konsolidieren, sondern auch Steuern und Abgaben schon ab dem kommenden Jahr zu senken.Mittelständler fordern Anhebung der Freibeträge

Grund genug also für die Kanzlerin, einen der Rädelsführer am Rande der gestrigen Bundestagssitzung zum Gespräch zu bitten: Michael Fuchs, Chef des mächtigen Parlamentskreises Mittelstand von CDU/CSU (PKM). 45 Minuten saß man am Vormittag im Reichstagsbüro der Kanzlerin zusammen, um die Wogen ein wenig zu glätten. Seit Wochen schon schwelt in der Union die Diskussion darüber, wie man den Aufschwung an den Bürger und vor allem an die eigenen Wähler möglichst bald weitergeben kann. Die Mittelständler in der Fraktion, auch die Arbeitnehmervertreter fordern dies seit langem. Doch weder bei Merkel noch bei Kauder fand man bislang durchschlagend Gehör. Vor zwei Wochen ließen deshalb Fuchs und Gerald Weiß, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe, in einem Brief ihrem Frust über die Steuerpolitik der Regierung freien Lauf. Mit Wirkung: "Die Fraktion ist anderer Meinung als die Bundesregierung", heißt es nun in der Union. "Die Abgeordneten würden in ihren Wahlkreisen erleben", schrieben Fuchs und Weiß, "dass die Unzufriedenheit gerade der Menschen in den unteren und mittleren Einkommensbereichen bedenklich zugenommen hat." Vom Aufschwung käme "nichts in ihren Geldbeuteln" an, und das ausgerechnet bei einem Personenkreis, "der für uns ein wichtiges Wählerpotenzial darstellt." Gestern bekräftigte Fuchs, schon aufgrund des im Herbst zu erwartenden Existenzminimumberichts müsse für die arbeitende Bevölkerung etwas getan werden. Er plädiere dafür, den Grundfreibetrag auf 8000 Euro anzuheben, was 2,3 Milliarden Euro kosten würde. Zudem müssen der Kinderfreibetrag heraufgesetzt und angesichts der bereits erkennbaren Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ab 2009 auf unter drei Prozent gedrückt werden, sagte Fuchs gestern. Kanzlerin bekommt Unmut in der Fraktion zu spüren

Eine Gegenfinanzierung sei möglich. So müsse sich Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) nur an den Koalitionsvertrag halten und mehr sparen - bis zu vier Milliarden Euro seien drin. In der Fraktionssitzung der Union am letzten Dienstag bekam die Kanzlerin den Unmut zu spüren. Zehn Redner forderten eine Kurskorrektur. Angesichts des Drucks kam Merkel ihnen entgegen, auch beim Treffen mit Fuchs im Reichstag signalisierte sie vielsagend, nach Spielräumen für Senkungen suchen zu wollen. In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause Ende Juni wird sich Merkel nun im Vorstand des PKM und bei der Arbeitnehmergruppe einer Diskussion darüber stellen. Fuchs will sich wappnen: Mit den Haushaltsexperten der Fraktion werde er ganz konkrete Vorschläge erarbeiten, wie Steuer- und Abgabensenkungen finanziert werden können - damit Merkel am Ende nicht sagen kann, Spielräume gibt es nicht. EXTRA Streit in der FDP um Steuerkonzept: Kurz vor dem FDP-Parteitag am Wochenende spitzt sich der interne Streit um das steuerpolitische Konzept der Liberalen zu. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger widersprach gestern gegenüber unserer Zeitung energisch dem nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Andreas Pinkwart. Dieser hatte den vorliegenden Leitantrag des Vorstandes als zu mutlos bezeichnet und gemeint, die FDP bleibe damit auf halbem Wege stehen. Sein Landesverband verlangt in einem Alternativantrag erheblich stärkere Steuersenkungen als das Konzept der Parteispitze, das auf ein Senkungsvolumen von 30 Milliarden Euro hinausläuft. Homburger sagte dazu, es gehe in der Finanzpolitik "nicht um Wünschenswertes, sondern um Machbares". Das vom FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms entwickelte Konzept des Leitantrages sei "solide durchgerechnet und gegenfinanziert" und bringe erhebliche Entlastungen, während Pinkwart "mit Fantasiezahlen" operiere. Ihr Landesverband Baden-Württemberg werde daher klar für den Solms-Antrag stimmen. (wk)

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