Lust und Frust der Gotik-Meister

Trier · Wenn Steine sprechen könnten … dann hätten der Domkreuzgang einiges zu erzählen. Vor allem aus seiner Entstehungszeit im 13. Jahrhundert. Da dürfte es mitunter ziemlich heftig unter Bildhauern und Bauleuten zugegangen sein. Erstere waren französische Meister, die auch die Liebfrauenkirche nebenan bauten, die anderen waren Einheimische, die nach dem Motto "Was nicht passt, wird passend gemacht" verfuhren.

Trier. Die Gastarbeiter waren hochwillkommen und mussten erst von Reims nach Trier gelotst werden. Ihr Auftrag: eine Kirche bauen, wie es sie noch nicht gab. Im neuen gotischen Stil à la Reimser Kathedrale, aber dennoch einzigartig und mit dem Grundriss einer "rosa mystica", einer "geheimnisvollen" zwölfblättrigen Rose - die Liebfrauen-Basilika. So weit, so bekannt. Neu hingegen ist die Erkenntnis, dass die vom Erzbischof engagierte französische Bauhütte mit ihrem Know-how auch nebenan den Domkreuzgang maßgeblich gestaltete. Belegt hat das der Trie-rer Diplom-Restaurator Thomas Lutgen. Der 45-Jährige, der schon die Restaurierung von Liebfrauen (2007-2011) mitgeleitet hat, durfte auch im Kreuzgang ran, der seit einem Jahr vor dem Verfall gerettet wird. "Ein Glücksfall für mich, dass ich den Auftrag für den Ost- und den Nordflügel erhalten habe", jubelt Lutgen; denn so konnte er hautnah die Spuren der Liebfrauen-Erbauer weiterverfolgen. Die waren um 1230 in Trier angekommen, mit Kind und Kegel, insgesamt mehrere Hundert Leute.
Um 1243 ging das Geld für das ambitionierte Neubauprojekt aus. Eine Kollekte im Erzbistum Köln brachte die notwendigen Mittel für den Weiterbau - und offenbar noch mehr: "Ich gehe davon aus, dass der Auftrag für die Bauhütte erweitert wurde", sagt Lutgen, "Denn der West- und der Nordflügel des Kreuzgangs tragen die Handschrift der Erbauer von Liebfrauen."
Sie legten ab 1245 den Kreuzgang nicht komplett neu an, aber begannen damit, den romanischen Vorgänger gotisch zu gestalten und durften sich dabei offenbar nach Herzenslust austoben. Prunkstück: der an der Dom-Außenwand verlaufende Nordflügel. Der war, wie sich bei der Restaurierung zeigte, nicht nur innen, sondern auch außen opulent bemalt. Dabei wandten Baumeister auch Tricks an: Den Kordeler Sandstein, der ihnen als Baumaterial zur Verfügung stand, peppten sie farblich auf: "Sie machten aus den grünen Steinen rote, um die Gewölberippen edler aussehen zu lassen." Auch das Mauerwerk sei durch "eine sensationelle Außenfarbfassung idealisiert worden", berichtet Lutgen.
Besonders liebevolle Ausstattung wurde den Schlusssteinen zuteil. Die plan geschliffenen Pupillen eines männlichen Antlitzes erklärt Lutgen so: "Da waren ursprünglich Edelsteine oder eingefärbte Gläser eingeklebt."
Doch es herrschte nicht nur eitel Sonnenschein auf der Baustelle. "Ich glaube, die Franzosen haben oft vor Entsetzen geschrien." Insbesondere dann, wenn die von ihnen passgenau hergestellten Architekturteile von den einheimischen Maurern und Steinversetzern grob behandelt oder gar beschädigt wurden. Lutgen und sein Team haben "einige Stellen entdeckt, in denen kräftig getrickst worden ist". Frei nach dem Motto: Was nicht (mehr) passt, wird passend gemacht.
Am Ost- und Südflügel waren die "Gastarbeiter" nicht mehr beteiligt, da nach der Fertigstellung der Liebfrauenkirche um 1260 weitergezogen. "Man sieht\'s auch heute noch", sagt Lutgen; "Die Ornamente sind viel derber."Extra

Der Kreuzgang des Doms wird seit Mai 2012 abschnittsweise restauriert. Der Nordflügel, der als schönster Teil gilt, ist wieder für Besucher zugänglich. Derzeit ist der Westflügel gesperrt. Voraussichtlich Ende des Jahres wird das Rettungsprojekt abgeschlossen. Finanziert wird es unter anderem aus dem Bundesprogramm für das Unesco-Weltkulterbe, zu dem Dom und Liebfrauen seit 1986 gehören. rm.

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