Der Verdacht fällt auf Damaskus

Damaskus · Erneut werden im syrischen Bürgerkrieg Gebiete mit Giftgas angegriffen. Wer steckt dahinter: Assads Truppen oder die IS-Miliz?

Damaskus (dpa) Giftgas hat in der von Rebellen kontrollierten Stadt Chan Scheichun Dutzende Menschen getötet und verletzt. Aktivsten werfen der Regierung in Damaskus einen Luftangriff mit Chemiewaffen vor. Russland erklärte hingegen, syrische Jets hätten in der Stadt ein Chemiewaffenlager der Rebellen ins Visier genommen.

Sind die Menschen in Chan Scheichun Opfer von Giftgas geworden?
Daran besteht kein Zweifel. Zahlreiche Videoaufnahmen und Bilder aus unterschiedlichen Quellen zeigen Opfer, die unter den Folgen von Giftgas leiden. Zu sehen sind etwa Menschen, die reglos oder zitternd auf der Straße liegen und von Helfern mit Wasser abgespritzt werden. Die Opfer weisen keine anderen äußerlichen Verletzungen auf. Außerdem gibt es Aussagen von Einwohnern, Rettungshelfern und Ärzten. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte, bei den Opfern seien Symptome der Einwirkung von Chemiewaffen zu erkennen.

War Chan Scheichun Ziel eines Angriffs der syrischen Luftwaffe?
Syrische Jets fliegen trotz eines Waffenstillstands weiterhin regelmäßig Angriffe gegen Gegner der Regierung. Damaskus argumentiert, sie bombardierten Extremisten, die von der Waffenruhe ausgenommen seien. Aktivisten berichteten am Dienstagmorgen übereinstimmend von Luftangriffen auf Chan Scheichun.

Hat Syriens Luftwaffe dabei Giftgas benutzt?
Diese Frage lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht endgültig beantworten. Allerdings fällt der Verdacht zuerst auf die syrische Regierung, weil sie bereits in der Vergangenheit nach unterschiedlichen Angaben Chemiewaffen eingesetzt hat. Zu diesem Schluss kommen unter anderem Ermittler des UN-Menschenrechtsrates. Sie berichteten im vergangenen Monat, dass Regierungskräfte im Bürgerkrieg mehrfach Rebellengebiete mit Chlorgas bombardiert hätten. Nach einer Reihe von Untersuchungen stellte auch die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) in ihrem jüngsten Bericht von Ende 2016 fest, dass sowohl die syrische Armee als auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Chemiewaffen eingesetzt beziehungsweise giftige Chemikalien wie Chlor als Waffe missbraucht hätten.

Wie sind Russlands Aussagen zu bewerten?
Aktivisten weisen Moskaus Vorwurf zurück, in der Stadt sei eine Chemiewaffenfabrik der Rebellen ins Visier genommen worden. In dem bombardierten Gebiet gebe es eine solche nicht, sagte Abu Madschd al-Chani aus Chan Scheichun. Auch die syrische Opposition spricht von einer russischen "Lüge". Allerdings sind solche Stimmen nicht unabhängig. Das gilt jedoch auch für Russland als engen Verbündeten Syriens, der am Bürgerkrieg mit Truppen beteiligt ist. Zudem gibt es in Moskaus Angaben Ungereimtheiten, worauf der investigative Internetjournalist Eliot Higgins hingewiesen hat. So erklärte Russland, das Waffenlager sei am späten Dienstagvormittag bombardiert worden. Zu diesem Zeitpunkt kursierten jedoch im Internet längst Bilder von Opfern. Aussagen Moskaus haben sich in der Vergangenheit zudem als falsch herausgestellt. Nach dem Luftangriff auf einen Hilfskonvoi in Nordsyrien im September erklärte Russlands Verteidigungsministerium, eine Prüfung von Videoaufzeichnungen habe keine Anzeichen ergeben, dass die Wagenkolonne von Munition getroffen worden sei. Der UN-Menschenrechtsrat kam hingegen zu dem Schluss, Syriens Luftwaffe sei für den Angriff auf die Hilfslieferung verantwortlich gewesen.

Warum sollte die Regierung Giftgas eingesetzt haben?
Einen militärischen Nutzen hätte sie davon kaum. Ohnehin haben die regierungstreuen Kräfte am Boden entscheidende Erfolge erzielt und die Rebellen in die Defensive gedrängt. Das spricht gegen den Vorwurf, Syrien habe Giftgas eingesetzt. Gegner der Regierung werfen ihr jedoch vor, ihr gehe es generell darum, in Gebieten der Opposition möglichst viel Angst und Schrecken zu verbreiten.

Gibt es denn überhaupt noch Chemiewaffen in Syrien?
Die OPCW-Experten hatten bis zum Januar 2016 nur die Bestände etwa von Senfgas oder Sarin vernichtet, die die syrische Regierung auch gemeldet hatte. Bis heute ist unklar, ob das Regime von Assad auch alle Bestände an giftigen Chemikalien angegeben hatte. Unbekannt ist auch, ob und wie viele Chemiewaffen in Hände der Rebellen oder des IS gefallen waren. Zudem fällt Chlorgas nicht unter die Mittel, die vernichtet werden mussten, weil es vor allem zu zivilen Zwecken genutzt wird. Aber: Der Einsatz von Chlorgas als Waffe ist ein Kriegsverbrechen.

Was kann die OPCW tun?
Die Sondereinheit sammelt und analysiert nun alle verfügbaren Informationen. Die Experten sprechen - wenn möglich - mit Opfern und Zeugen, sie entnehmen und analysieren Proben. Doch die Bewegungsfreiheit der OPCW-Experten ist sehr stark eingeschränkt, seitdem sie im Mai 2014 bei einem Kontrolleinsatz in Syrien angegriffen worden waren. Syrien verweigert außerdem den internationalen Kontrolleuren der OPCW den Zugang zu möglichen Produktions- und Lagerungsstätten.Fragen & Antworten Tote durch ChemiewaffenExtra: DEUTSCHLAND GIBT MEHR GELD FÜR SYRIENFLÜCHTLINGE


Deutschland stellt weitere 1,169 Milliarden Euro für die Opfer des syrischen Bürgerkriegs zur Verfügung. Laut Bundesaußenminister Sigmar Gabriel soll das Geld zusätzlich zu den 2,3 Milliarden Euro fließen, die bereits 2016 für Hilfsprojekte zugesagt wurden. Die Bundesrepublik werde alles tun, um bedrohte und vertriebene Menschen zu unterstützen, sagte Gabriel am Mittwoch bei einer internationalen Geberkonferenz in Brüssel. Den Giftgasangriff in Syrien nannte Gabriel am Rande der Konferenz "ein barbarisches Kriegsverbrechen". Die Verantwortlichen des Assad-Regimes für diese Barbarei müssten zur Verantwortung gezogen werden."

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