Merkel gibt Athen die Schuld: Die Griechenlandkrise verursacht Hektik im politischen Berlin

Berlin · Düstere Stimmung bei Deutschlands Politikern: Wegen der Uneinsichtigkeit der griechischen Regierung und der damit drohenden Staatspleite des Landes herrscht Unmut, Niedergeschlagenheit und vor allem Ratlosigkeit, wie es mit dem Euro weitergehen soll.

Die Hauptstadt schaltet in den Krisenmodus. Kaum ein politisches Gespräch, kaum ein Treffen, das am Montag nicht von der griechischen Misere überschattet wird. Im Kanzleramt berät Angela Merkel mit den Partei- und Fraktionschefs die heikle Lage angesichts der drohenden Staatspleite Griechenlands. Im Reichstag kommen die Fraktionen zu Sondersitzungen zusammen, der Unmut über den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras und dessen Regierung ist groß. Selbst der Geburtstag der CDU bleibt vom Griechen-Drama nicht verschont - Berlin im Zeichen dramatischer Ereignisse.
Viel wird an diesem Tag vom Scheitern des Euro gesprochen. Man geht hart mit den Griechen ins Gericht - auch Angela Merkel. Die Kanzlerin hat lange zu den jüngsten Wendungen geschwiegen. Umso mehr soll sie sich hinter den Kulissen engagiert haben, um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Es geht auch um Merkels Ruf, um ihre Rettungspolitik, die zu misslingen scheint. Ein Gespräch jagt das nächste. Auch mit Regierungschef Tsipras stand Merkel übers Wochenende in Kontakt. Aber offenkundig vergeblich.
"Man muss einfach konstatieren, dass der Wille zum Kompromiss auf der griechischen Seite nicht da war", sagt Merkel am frühen Nachmittag vor Journalisten im Kanzleramt, nachdem sie dort zuvor fast eineinhalb Stunden lang die Spitzen der im Bundestag vertretenen Parteien unterrichtet hat.Krisenmodus kostet Kraft


Merkel sieht müde aus. Als Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) am Rednerpult neben ihr das von Tsipras überraschend angesetzte Referendum als eine Entscheidung über "ein Ja oder Nein zum Euro" in Griechenland charakterisiert, werden ihre Augen immer kleiner. Merkel schwant nichts Gutes. Und der permanente Krisenmodus kostet Kraft.
Sie wiederholt ihren lange nicht mehr gehörten Satz: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." Davon hat sie am Vormittag beim Festakt zum 70. Geburtstag der CDU auch gesprochen. Eigentlich wollten sich die Christdemokraten den Geburtstag nicht durch Athen verhageln lassen, aber Merkel kommt in ihrer Rede nicht daran vorbei. Schließlich versteht sich die CDU als die Europapartei schlechthin. Was sie mit Scheitern meint, erläutert sie den Festgästen: Europa könne nur existieren, wenn es kompromissfähig sei. Es gehe darum, "ob man ausnahmsweise Prinzipien ad acta legen kann. Da müssen wir sagen: Wir können es nicht."

Wenn die Fähigkeit zum Kompromiss verloren gehe, "dann ist Europa verloren", mahnt sie. Dafür erhält sie viel Applaus. Noch länger wird geklatscht, als sie Finanzminister Wolfgang Schäuble für dessen Verhandlungsführung dankt. Schäuble ist derjenige, der für Merkel bei der Griechenland-Rettung die Truppen zusammengehalten hat. Sie ruft: "Gut, dass Sie Finanzminister sind!"
Bei der Opposition sieht man das natürlich ganz anders. In einer improvisierten Pressekonferenz warnen Linke und Grüne reihum vor "schweren Verwerfungen" in Europa, sollte der Grexit eintreten. Linksparteichefin Katja Kipping findet es "erschreckend, wie Merkel sich wegduckt". Die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt appelliert an "alle", unverzüglich an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Hinter verschlossenen Türen bei Kaffee und Schokoladenplätzchen, hat man das auch Merkel und Gabriel klar gesagt. Doch die Kanzlerin und ihr Vizekanzler wollen erst mal das für kommenden Sonntag geplante Referendum abwarten. "Wenn jemand mit uns sprechen möchte, sind wir jederzeit bereit zu sprechen", betont Merkel. Athen hat demnach eine Bringschuld - und nicht der große europäische Rest.
Diesen Standpunkt bekräftigt sie später auch vor den Fraktionen. Die Krise wirft den Terminplan des Bundestages erheblich durcheinander - Mittwoch wird das Parlament sogar außerplanmäßig über die dramatische Lage debattieren. Wie ernst die Situation ist, zeigt sich auch daran, dass Merkel zunächst die SPD-Abgeordneten informiert, Schäuble übernimmt die eigenen Reihen.
Die Stimmung in beiden Lagern der Koalition ist gedrückt bis wütend. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann wirft Athen "Erpressung" vor - das Wort hört man häufiger im Reichstag. Bei der Union fallen die Urteile genauso deftig aus. Wolfgang Bosbach, Kritiker der bisherigen Rettungspolitik, schüttelt den Kopf: "Das griechische Verhalten ist völlig unbegreiflich." Andere reden von "Willkür und Disziplinlosigkeit". Aus solchen Worten spricht tiefe Ratlosigkeit, wie es mit Griechenland und dem Euro weitergehen soll - Berlin im Krisenmodus.Extra

Die vorerst gescheiterte Einigung im griechischen Schuldenstreit hat dem Dax den größten Tagesverlust seit Jahren eingebrockt. Ein Crash an Europas Börsen blieb wie von Experten erwartet am Montag aber aus. Der Dax schloss 3,56 Prozent schwächer bei 11 083,20 Punkten. Am Freitag hatte sich der deutsche Leitindex noch mit einem satten Wochenplus von mehr als 4 Prozent aus dem Handel verabschiedet. Für den MDax der mittelgroßen Werte ging es am Montag letztlich um 2,67 Prozent auf 19 806,99 Punkte bergab und der Technologiewerte-Index TecDax verlor 2,84 Prozent auf 1647,79 Punkte. Der Euro-Zonen-Leitindex EuroStoxx 50 sackte um 4,21 Prozent auf 3468,90 Punkte ab. An der Börse in Paris ging es kaum weniger stark bergab, während sich der Londoner Aktienmarkt etwas besser hielt. Der US-Leitindex Dow Jones Industrial stand zum europäischen Handelsende gut 1 Prozent im Minus. dpa

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