Ausstellung Gesichter, die Geschichten erzählen
Bitburg · Angst, Verzweiflung, Leere: Diese Augen lassen einen nicht mehr los. In Haus Beda zeigt Marie-Luise Niewodniczanska eine Ausstellung mit Selbstporträts von Künstlern – unter ihnen Max Beckmann, Otto Dix, Emil Nolde und viele mehr.
Alles, was Rang und Namen hat, ist vertreten. Die großen Künstler des 20. Jahrhunderts vereint in der Eifel. Die Gastgeberin: Marie-Luise Niewodniczanska. Die große Dame der Brauerei schenkt sich und allen Kunstliebhabern aus nah und fern zum 80. Geburtstag eine Ausstellung. Kollwitz, Kirchner, Kokoschka – alle sind sie da. Eine illustre Runde. Vorrangig Herren. Und alle haben etwas in ihrem Blick, das fesselt, gefangen nimmt, nachdenklich macht. Zeit zum Innehalten.
Die Künstler, so wie sie sich selbst sehen, wirken gebrochen, ernst, traurig, verzweifelt. Sie haben mit so viel Kraft Bilder voller Lebensfreude auf die Leinwand gebracht: üppige Blumen, pulsierende Tanzszenen, bunt-bewegte Landschaften. Aber in der Selbstdarstellung wirkt keiner von ihnen fröhlich – im Gegenteil. „Die haben das Nazi-Regime erlebt, ihre Kunst galt als ‚entartet’, sie wurden verfolgt, durften nicht ausstellen“, sagt Frau Niewo. Die 170 Selbstporträts, die ab diesem Wochenende in Haus Beda ausgestellt werden, sind Bildnisse von Künstlern dieser Zeit. Der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft.
Die Werke stammen aus der Privatsammlung von Theobald Simon. „Mein Vater hat früh angefangen zu sammeln“, sagt Frau Niewo. Und diese Liebe zur Kunst treibt auch sie an. Die Präsidentin der Europäischen Vereinigung für Bildende Kunst (EVBK) hat ein Faible für Selbstporträts und über Jahrzehnte die Sammlung ihres Vaters ergänzt. „Der Künstler gibt da sehr viel von sich preis“, sagt sie.
Da ist Ernst Ludwig Kirchner. Mehr als 600 seiner Arbeiten haben die Nationalsozialisten als „entartet“ beschlagnahmt. „Das muss man erst mal verkraften. Und das alles in dieser unheimlichen Zeit, in der so viel kaputtgegangen ist“, sagt Niewo. Kirchner emigrierte in die Schweiz. 1938 setzte er seinem Leben in Davos ein Ende. Sein Selbstporträt: ernste Züge, tiefe Furchen.
„Dann diese tieftraurige Käthe Kollwitz“, sagt Niewo mit Blick auf ein weiteres Selbstporträt. Ein Leben, das von Kriegswirren und Leid geprägt war. Sie wurde als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste Berlin gewählt, zog mit sozialkritischen Arbeiten wie etwa „Ein Weberaufstand“ und Darstellungen von Hunger und Not die Aufmerksamkeit auf sich. Auffallend: diese Augen. Augen, die viel gesehen haben, vielleicht zu viel. Irgendwo zwischen leer und verzweifelt und doch unglaublich präsent. Kollwitz hat Sohn und Enkel im Krieg verloren. Auch ihre Kunst galt als entartet. Das Ende des Nazi-Regimes, gegen das sie sich auflehnte, hat sie nicht mehr erlebt.
Von einigen Künstlern gibt es gleich mehrere Selbstporträts zu sehen. „Da werden Entwicklungen deutlich. Nicht nur künstlerische, auch und vor allem seelische“, sagt Niewo. Sie ist fasziniert von diesen Selbstdarstellungen. Marc Chagall, der sich auf dem Kopf malt, Nolde, der sich aufzulösen scheint, oder Schmidt-Rottluff, dessen Holzschnitt Niewo als „revolutionär für diese Zeit“ bezeichnet. Lieblingsstücke? „Nein, das sind alles besondere Arbeiten.“ Und dann zitiert sie die Künstlerin Paula Moderson-Becker: „Ich sehe mich Auge in Augen mit einer großen einsamen Wahrheit.“ Das mögen Künstler, die sich selbst porträtieren, so empfinden. Das gilt aber auch für die Betrachter, die, Auge in Auge mit diesen Künstlern in der Ausstellung, auch diese Zeit mit den Augen der Künstler sehen können. Eine verstörende Zeit.
Die Frau, die das alles zusammengetragen hat, ist die Einzige, die inmitten der vielen ernsten Gesichter immer wieder lacht. Eine unverbesserliche Optimistin. Ob sie zum „80.“ nicht ebenso gut bunte Blumen und Landschaften statt dieser ernsten Gesichter hätte zeigen können? „Ach“, sagt Frau Niewo, „die Lage ab 80 ist auch ernst.“ Aber wenn man gesund sei, hätte man allen Grund, dankbar zu sein. Und etwas von ihrem Glück, der Freude an Kunst, will sie dankbar mit dieser Ausstellung weitergeben.
„Künstler sehen sich selbst“ ist in der neuen Galerie von Haus Beda ab Sonntag, 8. April, 11 Uhr, bis Sonntag, 20. Mai zu sehen.