Hoffen auf die Ruhe im Sturm

MAINZ. Kurt Beck will in die erste SPD-Reihe. Überraschend hat der Mainzer Ministerpräsident seine Kandidatur für den Posten des stellvertretenden Bundesparteichefs angemeldet. "Ein Signal der Beruhigung" in stürmischen Zeiten, wie einige Genossen hoffen.

Durch schwere See steuern die Sozialdemokraten. Während die SPD-Linke einen raschen Kurswechsel hin zu alten Ufern fordert, wollen Kanzler Gerhard Schröder und sein neuer Steuermann Wolfgang Clement das Reformtempo in die entgegengesetzte Richtung forcieren. Gerade Zeit für Kurt Beck, mit auf die Brücke zu gehen, meinen die rheinland-pfälzischen Genossen. Am Wochenende drängten sie ihn, ein Zeichen zu setzen: Beim Parteitag im November in Bochum will er für einen der fünf Vize-Posten kandidieren. Becks Ambitionen, auf dem Weg nach vorn ein weiteres Mal Rudolf Scharping zu beerben, sind nicht neu. DerWesterwälder und Ex-Ministerpräsident, noch Schröders Vize in der Parteiführung, ist seit der Bundestagswahl in der politischen Versenkung verschwunden. Zu früh starten wollte Beck allerdings nicht, wurde doch bis zum Scheitern bei der Niedersachsen-Wahl auch der umtriebige Sigmar Gabriel als möglicher Konkurrent angesehen. Nach dessen Absturz könnte nun der Pfälzer nicht nur den "erfolgreichsten SPD-Landesverband", der bei der Landtagswahl 2001 fast fünf Prozent zulegte, in der Spitze vertreten. Der 54-jährige Regierungschef steht mit seinem hausbacken anmutenden politischen Credo "Nah bei den Menschen" für das, was die SPD verzweifelt sucht: Verlässlichkeit und bodenständige Politik. Auch Becks vorrangiges Thema, die soziale Gerechtigkeit, wird als ureigenste Kompetenz der SPD angesehen, die in der Wahrnehmung erheblich leide, so das Kalkül in der Partei. Zwar betont Beck stets, dass ihn keine bundespolitischen Ambitionen treiben. Gleichwohl nutzt er seine Position als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder seit Jahren geschickt, um über die Medienpolitik in der vordersten Reihe mitzuspielen und nicht zuletzt über publikumswirksame Themen wie Sport- und Fußballberichterstattung zu punkten. Der auf Ausgleich bedachte gelernte Elektromechaniker wird wegen Fairness und seines auf Konsens orientierten Arbeitsstils geschätzt. Trotz seiner eher konservativen Ausrichtung hat er sich zudem nicht in entsprechenden Parteigruppierungen wie dem "Seeheimer Kreis" einbinden lassen und damit Gegner geschaffen. Er gilt außerdem als loyal. Selbst wenn in den vergangenen Monaten öfter der viel stimmige SPD-Chor und das Hin und Her der politischen Parolen aus Berlin das Pfälzer Temperament mehr als einmal zum Kochen brachten, drang sein Groll nur deutlich abgemildert in die Öffentlichkeit. Zu einem verlässlichen Partner hat sich Beck in den letzten Jahren für Schröder entwickelt. Bei Steuerreform und Staatsbürgerrecht gelang es über die einzige sozial-liberale Koalition in der Republik, wichtige Mehrheiten zu sichern. Beim Ruf nach Wiedereinführung der Vermögensteuer war Beck der erste, der in der Befürworterfront ausscherte und somit Schröder im Wahlkampf entgegen kam. Dafür musste er sich den Vorwurf der Vasallentreue vorhalten lassen. In der Bundespolitik könnte Beck künftig als möglicher Nachfolger von Gabriel die Rolle des Koordinators der SPD-geführten Länder im Bundesrat zufallen. Dort stehen Schröder bei der Durchsetzung seiner Politik harte Zeiten bevor. Im Vermittlungsausschuss wird ein Koordinator für den Bundesrat gesucht. Große Herausforderung auch für den geübten Vermittler Beck.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort