Regeln gegen Gier und Zocker-Mentalität

Sein Ziel ist das Kanzleramt. SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier glaubt an seine Chance. Kurz vor Steinmeiers Abreise zur UN-Generalversammlung sprach unser Korrespondent Werner Kolhoff in Berlin mit dem Außenminister über den Beck-Rücktritt, die Wahlaussichten und die Finanzmarktkrise.

Berlin. (wk) Wie erklären Sie es sich, dass die SPD den Führungswechsel so reibungslos akzeptiert hat?

Steinmeier: Alle in der SPD wissen: Jetzt müssen wir die 370 Tage bis zur Bundestagswahl nutzen und rasch die Aufholjagd zur Union beginnen. Franz Müntefering und ich führen viele Gespräche mit allen Flügeln und Gruppen in der Partei, und ich habe das Gefühl: Da geht gerade ein Ruck durch die SPD. Unser Prinzip heißt: Intern offen und lebendig diskutieren, aber nach außen geschlossen handeln. Wir wollen mit Inhalten überzeugen.

Stimmt es Sie nicht nachdenklich, wie schnell man ruft: "Der König ist tot, es lebe der König."?

Steinmeier: Die SPD war noch nie ein Anhänger der Monarchie, seit 150 Jahren nicht. Die Entscheidung von Kurt Beck hat uns alle überrascht; niemand hatte damit gerechnet, und niemand wollte sie. Dennoch galt es an jenem Sonntag, aus gemeinsamer Verantwortung für die Partei sich schnell neu aufzustellen und den Blick nach vorn zu richten. Klare Führung und ein starkes Zentrum - das ist, was wir jetzt brauchen. Ich bin sicher und wünsche mir, dass Kurt Beck weiter in der SPD eine wichtige Rolle spielen wird.

Der linke Flügel fordert, dass die Hamburger Beschlüsse weiter gelten, und Sie haben das zugesagt. Bedeutet das weitere Korrekturen an der Agenda 2010?

Steinmeier: Natürlich gelten die Hamburger Beschlüsse. Auf dieser Basis werden wir in den nächsten Monaten ein Wahlprogramm formulieren. Zum Glück haben wir dabei - auch dank der Agenda 2010 - eine viel bessere Ausgangslage. Heute haben wir 1,6 Millionen weniger Arbeitslose, solide gefüllte Sozialkassen, weniger Neuverschuldung und eine Trendwende bei der Armut in Deutschland. Jetzt müssen wir rasch dafür sorgen, dass wirklich alle davon profitieren. Das wird die Aufgabe der nächsten Jahre: Arbeit zu guten Löhnen, bessere Chancen für alle Kinder, mehr Möglichkeiten für sozialen Aufstieg. Darum müssen wir uns kümmern.

Sie haben gesagt, Sie setzen nicht auf Platz, sondern auf den Sieg. Was ist denn das Kriterium für einen solchen Sieg?

Steinmeier: Die SPD will nach der Bundestagswahl 2009 wieder den Bundeskanzler stellen. Das ist unser gemeinsames Ziel. Mein Ansatz ist: langfristig denken, gründlich analysieren, mutig handeln. Dann geht es für unser Land voran.

Wäre es auch ein Sieg für die SPD, wenn sie als Juniorpartner weiter in der Großen Koalition mitarbeiten könnte?

Steinmeier: Es hat doch keinen Sinn, ein Jahr vor den Bundestagswahlen über Koalitionsoptionen zu spekulieren. Klar ist: Die Fortsetzung der Großen Koalition ist ausdrücklich nicht unser Wahlziel. Außerdem spüre ich, dass derzeit vieles im Fluss ist und auch in anderen Parteien über mögliche Konstellationen nachgedacht wird. Ich selbst habe vor wenigen Tagen an die letzten sozial-liberale Koalitionen unter Brandt, Schmidt, Scheel und Genscher erinnert. Das war für Deutschland eine gute Zeit. Nur eines schließe ich definitiv aus: Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei wird es auf Bundesebene nicht geben.

Viele Menschen bekommen es wegen der Finanzmarktkrise mit der Angst zu tun und befürchten einen Abschwung. Rechnen Sie auch damit?

Steinmeier: Zum Glück müssen Sparer und Rentner in Deutschland wegen der Finanzkrise nicht um ihr Hab und Gut fürchten. Das verdanken wir auch unserer strengen Bankenaufsicht. Ich finde es unglaublich, wie leichtfertig manche Bankmanager mit dem Geld ihrer Kunden umgehen, oder wie im Fall der KfW mit dem Geld von uns Steuerzahlern. Ich ziehe daraus den klaren Schluss: Die internationale Finanzwirtschaft braucht Regeln, um die Gier und Zocker-Mentalität einzudämmen. Darüber werde ich diese Woche in New York mit amerikanischen Notenbankern sprechen. Wie sehr die Finanzkrise die Wirtschaft auch bei uns in Mitleidenschaft zieht, weiß niemand. Aber sicher ist: Uns wird es weniger treffen als viele andere Länder. Wir haben in der Regierungszeit von Gerhard Schröder nicht nur auf den Kapital- und Finanzdienstleistungssektor gesetzt, sondern bewusst auch auf eine starke Industrie, vom Stahl über Autos und Chemie bis zu Sonnenkollektoren und Windrädern. Manche haben uns damals als altmodisch kritisiert. Aber heute zahlt sich das aus.

Welche Konsequenzen müssen aus der Krise gezogen werden?

Steinmeier: Als wir vor gut drei Jahren den Schutz der industriellen Basis vor Heuschrecken gefordert haben, hat uns der versammelte Hochmut selbsternannter Wirtschaftsexperten versucht, in die Ecke zu stellen. Gleichwohl hat Peer Steinbrück schon vor zwei Jahren Vorschläge für mehr Transparenz und Kontrolle der internationalen Finanzmärkte vorgelegt, anfangs gegen Widerstand besonders in den USA und Großbritannien. Das ändert sich gerade. Jetzt rufen sogar die Börsianer an der Wall Street, in London und Frankfurt nach einem starken Staat, der faire Regeln schafft. Da kann ich nur sagen: Wir werden euch beim Wort nehmen.

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