Über dem Rathaus zieht ein Sturm auf

Trier · Die Revolution der Ortsbeiräte soll in Heiligkreuz beginnen und alle Trierer Stadtteile erfassen - das ist der Plan. Die Gremien wollen sich wehren gegen Bevormundung, Blockade und Ignoranz des Stadtrats und der Verwaltung. Die ersten Blitze zucken schon, aber noch sind sich die Initiatoren des Widerstands nicht einig.

 Blitz und Donner werden den Sitz der Verwaltung und des Stadtrats am Augustinerhof treffen – wenn sich der Ortsbeirat Heiligkreuz endlich einig wird und die revolutionären Zeilen veröffentlicht. TV-Foto: Friedemann Vetter, TV-Grafik: Birgit Keiser

Blitz und Donner werden den Sitz der Verwaltung und des Stadtrats am Augustinerhof treffen – wenn sich der Ortsbeirat Heiligkreuz endlich einig wird und die revolutionären Zeilen veröffentlicht. TV-Foto: Friedemann Vetter, TV-Grafik: Birgit Keiser

Trier. In diesen Zeilen steckt jede Menge Frust und Missmut: "Natürlich kann man zu der Ansicht gelangen, Ortsbeiräte sind überflüssig. Dann aber muss man konsequenterweise darauf verzichten und darf sich nicht für Scheindemokratie mit Gremien schmücken, deren Aufgaben auf das Abnicken von Ratsentscheidungen reduziert werden."
Diese Botschaft steht in einem Brief, der die Ortsbeiräte zur Revolution aufrufen soll (siehe Extra). Die Fraktionen im Ortsbeirat Heiligkreuz haben ihn verfasst und wollten ihn an die Kollegen in allen anderen Trierer Ortsbeiräten weiterleiten, um damit Veränderungen zu bewirken (der TV berichtete).
Doch die revolutionären Zeilen haben Heiligkreuz noch nicht verlassen, obwohl der Ortsbeirat den Beschluss bereits mehrheitlich gefasst hat - denn die CDU meldet inhaltliche Bedenken an. "Der Meinungsbildungsprozess ist noch nicht abgeschlossen", sagt ihr Vorsitzender in Heiligkreuz, Christoph Lentes.
Das sieht Sozialdemokrat Hanspitt Weiler anders. "Auch wenn die Mehrheit der CDU im Ortsbeirat dem Inhalt des Briefes offensichtlich nicht mehr zustimmen möchte, kann das nicht dazu führen, unseren Beschluss auszusetzen oder gar zurückzunehmen." Weiler betont: Der Brief muss raus. Die CDU kritisiert er für ihre "Rolle rückwärts".
Was ist los in Heiligkreuz? Hier sind die Fakten: Der Ortsbeirat hat in seinen Sitzungen am 26. April und 29. Mai beschlossen, die mangelnde Berücksichtigung der Ortsbeiratsvoten durch den Stadtrat in einem gemeinsamen Brief zu thematisieren und diesen an alle Trierer Ortsbeiräte zu schicken. Der Brief steht, der aktuelle Entwurf liegt dem TV vor. Er trägt die Datumsabgabe "Im Juni 2012" und ist unterzeichnet von Ortsvorsteherin Elisabeth Ruschel (CDU), Klaus Wagner (SPD), Petra Kewes (Grüne) und Felix Brand (SPD). Christoph Lentes (CDU) hat seine Unterschrift und Zustimmung zurückgezogen.
"Die Ortsvorsteherin setzt die Ortsbeiratsbeschlüsse nicht um und bringt den Brief nicht in die Verteilung", sagt Hanspitt Weiler im Dialog mit dem TV. "Ich fühle mich hintergangen, wenn ich nach fünf Wochen Wartezeit lesen muss, dass man den Brief jetzt doch nicht mittragen kann", schreibt er in einer Mail an alle Kollegen im Ortsbeirat.
Der TV erreicht Ortsvorsteherin Elisabeth Ruschel im Urlaub. Sie widerspricht der Darstellung von Weiler: "Der Ortsbeirat hat in der Tat die Veröffentlichung eines Briefs beschlossen. Das heißt aber nicht, dass es unbedingt dieser Brief in der jetzt vorliegenden Fassung sein muss." Ruschel sieht noch Gesprächsbedarf in den Fraktionen.
"Ich bin inhaltlich nicht voll mit dieser Fassung einverstanden", sagt der Heiligkreuzer CDU-Chef Christoph Lentes. "Hopplahopp geht hier gar nichts. Genauigkeit ist wichtiger als Schnelligkeit."
Nach der Sommerpause wird die Debatte um den Brief und die Revolution der Ortsbeiräte weitergehen. Der Ortsbeirat Heiligkreuz tagt wieder am Dienstag, 14. August.Meinung

Zeit, dass sich was bewegt
Der Ortsbeirat Heiligkreuz zeigt Initiative und Konsequenz - das ist großartig. Selbstverständlich hat die Ortsebene jedes Recht, Abläufe und Entscheidungen im Stadtrat kritisch infrage zu stellen. Doch jetzt muss Heiligkreuz aufpassen, dass diese Protestaktion nicht zur Lachnummer wird, indem man sie zerredet, abschwächt und verwässert. Der Brief der Ortsbeiratsfraktionen enthält keine Beleidigungen, keine Hetzparolen, keine unhaltbaren Anschuldigungen. Er benennt stattdessen klar und deutlich, was in diesem System der Basisdemokratie nicht stimmt. Ein Adrenalinstoß und eine Auflehnung gegen Verdrossenheit und Fatalismus in der Kommunalpolitik. Welche Bedenken die CDU Heiligkreuz in dieser Sache auch haben mag, sie sollte ihre Zurückhaltung über Bord werfen und sich dem Geradeaus-Kurs ihrer Kollegen anschließen. Es ist Zeit, dass sich etwas bewegt. j.pistorius@volksfreund.deExtra

Die aktuelle Fassung des Protestschreibens aus Heiligkreuz in Auszügen: "Hinterfragt man Entscheidungsläufe im Stadtrat, muss man feststellen, dass Basiswillen oder Bürgerbeteiligung oft nur so lange taugen, wie eigene Meinungen hierdurch bestätigt werden. Bürgerbegehren wurden ignoriert, Entscheidungen der Ortsbeiräte wurden nur ablehnend zur Kenntnis genommen. Ureigene Stadtteilinteressen bei der Erstellung von Bebauungsplänen wurden vielfach nicht im Sinne der Stadtteil-Bevölkerung berücksichtigt. Das haben die Bürger in den Stadtteilen nicht verdient! In diesem Sinne bitten wir alle Ortsbeiräte dieser Stadt, dieses Thema in Ihren Gremien zu diskutieren und ihren Unmut über Entscheidungen des Rates zuungunsten der Stadtteilräte deutlich zu artikulieren. Damit verbunden sollten alle Ortsbeiräte den Sinn ihres Fortbestandes kritisch hinterfragen." jp

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