Tödlicher Baumunfall: "Gegen menschliche Fehler ist niemand gefeit"

Trier · Der Prozess um das tödliche Baumunglück vom November 2012 ist vor sechs Wochen zu Ende gegangen, seit fünf Tagen liegt auch die schriftliche Fassung des Urteils vor. Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani (CDU) äußert sich im TV-Interview zum ersten Mal zu diesem Urteil, das bundesweit verfolgt worden ist.

Trier. "Eklatante Organisationsmängel" hat Strafrichter Wolf-Dietrich Strick dem Grünflächenamt vorgeworfen, als er am 28. November den Schuldspruch gegen einen 53-jährigen Gärtnermeister verkündete (siehe Extra "Der Prozess"). Der Angeklagte sei zwar schuldig der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung, aber der Richter betonte: "Es war nicht nur was faul am Baum, sondern auch in der Baumpflege." Die verantwortliche Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani stellt sich den Fragen von TV-Redakteur Jörg Pistorius.

Das schriftliche Urteil des Amtsgerichts liegt vor, seine Begründung enthält harte Kritik am Grünflächenamt. Was sagen Sie dazu?
Kaes-Torchiani: Ich habe die Urteilsbegründung gelesen und bin schon sehr erstaunt. Aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verfahren läuft noch und wird in zweiter Instanz wieder aufgerollt. Ich will auch keine Richterschelte betreiben.

Können Sie Ihr Erstaunen dennoch erklären?
Kaes-Torchiani: Ich nenne ein Beispiel: Ein Zeuge hat offenbar ausgesagt, es habe die nachdrückliche Bitte nach einer Erhöhung des Personalstands in der Baumpflege gegeben. Diese Bitte sei jedoch im Baudezernat ungehört geblieben. Das ist definitiv falsch.

Diese Aussage gab es in der Tat. Was ist daran falsch?
Kaes-Torchiani: Es hat ein solches Signal einer personellen Überlastung oder Anforderung an mich oder den Oberbürgermeister nicht gegeben.

Welche Möglichkeiten hätte ein Amt denn, eine solche Verstärkung zu beantragen?
Kaes-Torchiani: Jede Woche gibt es eine Rücksprache mit jedem einzelnen Amtsleiter. In diesen Rücksprachen ist von einer personellen Verstärkung nie die Rede gewesen.

Ist das Ihr einziger Kritikpunkt?
Kaes-Torchiani: Ich werde zu diesem Urteil und vor allem zu den einzelnen Formulierungen in der Begründung nichts weiter sagen. Außerdem ist das Urteil noch nicht einmal rechtskräftig. Der Prozess um den tragischen Unfall ist ein laufendes Verfahren, zu dem ich mich nicht weiter äußern werde.

In seiner Urteilsbegründung stellte Strafrichter Wolf-Dietrich Strick Organisation und Struktur des Grünflächenamts deutlich infrage.
Kaes-Torchiani: Die Organisation des Grünflächenamts entspricht den bundesweit angewandten FLL-Richtlinien. FLL steht für Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau. Das ist ein Fachverband, der den Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau in Deutschland seit 35 Jahren begleitet und auch im Zusammenhang mit der Baumkontrolle Empfehlungen ausspricht.

Empfehlungen sind keine Vorschriften.
Kaes-Torchiani: Ungeachtet dessen halten wir uns an diese Empfehlungen und arbeiten danach, was offenbar vom Gericht auch so gesehen und erwähnt wurde. Der Leiter des Grünflächenamts arbeitet in diesem Fachverband mit und ist auch selbst Gutachter. Wir sind hier stets auf dem Stand der neuesten Empfehlungen und stimmen unsere internen Abläufe darauf ab.

Neue Situationen und Problemlagen können aber ständig Änderungen erfordern. Vor dem tödlichen Baumunfall in Trier gab es deutschlandweit kein Gefahrenbewusstsein für die Standsicherheit innerstädtischer Bäume.
Kaes-Torchiani: Dem kann ich so nicht zustimmen. Bundesweit und auch in Trier gab es sehr wohl ein Problembewusstsein. Sonst hätten wir aufwendige Kontrollsysteme nicht etabliert. Wenn wir die Notwendigkeit von Veränderungen sehen, greifen wir ein. Das ist ein ständig laufender Prozess.

Welche Rolle spielt das Thema Sicherheit in diesem laufenden Prozess?
Kaes-Torchiani: Seit ich im Jahr 2007 Baudezernentin der Stadt Trier geworden bin, haben wir viel Mühe darauf verwendet, den Stadtrat davon zu überzeugen, dass es den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel erfordert, die Aufrechterhaltung der Sicherheit im öffentlichen Raum und eben auch auf den Grünflächen zu gewährleisten. Es geht ja auch nicht nur um die Baumsicherheit, sondern auch um ständige Kontrollen in vielen anderen Bereichen.

Inwieweit sind solche Mittel in die Sicherheit der Trierer Bäume geflossen?
Kaes-Torchiani: 2007 wurde die elektronische Erfassung der Bäume eingeführt. Das ist eine sehr gute Sache. Wir arbeiten aber auch an Veränderungen, um nach menschlichem Ermessen alles zu unternehmen, um das Risiko gegen null zu fahren. Da wird es immer wieder neue Erkenntnisse geben.

Haben die Verwaltung und das Grünflächenamt dennoch etwas übersehen?
Kaes-Torchiani: Nein. Wir müssen uns nicht den Vorwurf machen, wir hätten etwas versäumt oder nicht getan. Gegen menschliche Fehler ist niemand gefeit.

War der tödliche Baumunfall eine Folge menschlichen Versagens?
Kaes-Torchiani: Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen. Das Urteil ist, wie gesagt, noch nicht rechtskräftig.

Die Stadt hat aber als direkte Reaktion auf das Urteil die Baumkontrollen an externe Dienstleister vergeben und eine neue Stelle ausgeschrieben.
Kaes-Torchiani: Diese externe Vergabe ist eine Reaktion auf die hohe Verunsicherung im Grünflächenamt. Wir haben das gemacht, um hier wieder Ruhe und Sicherheit reinzubringen. Wir werden die Baumkontrollen auch im laufenden Jahr 2014 extern vergeben, und wenn es nicht anders geht, auch 2015. Außerdem wollen wir einen Fachmann einstellen und mit ihm eine Abteilung aufbauen, die dann über Standorte, Arten, Pflege und Sicherung der Bäume zentral entscheiden wird. jpExtra

Simone Kaes-Torchiani Geboren: 9. Oktober 1955 Studium: 1978 bis 1982 Architektur mit Vertiefung Städtebau an der Fachhochschule Koblenz, Abschluss als Diplom-Ingenieurin; Beruf: bis 1984 Mitarbeiterin eines Stadtplanungsbüros in Sinzig; bis 2002 Leiterin des Fachbereichs II (Planung und Bau) der Stadt Wittlich; bis 2003 Leiterin des Stadtplanungs- und Baurechtsamts der Stadt Schwäbisch Gmünd; ab 2003 Technische Beigeordnete der Stadt Stolberg; Politik: seit 2003 CDU-Mitglied; Trier: Wahl zur Baudezernentin der Stadt Trier am 20. März 2007 mit der Ratsmehrheit von 28 Stimmen der Fraktionen CDU und UBM, heute FWG. jpExtra

Mit einem Schuldspruch endete der Prozess um das tödliche Baumunglück am 28. November. Der für die Zweitkontrolle auffälliger und kranker Bäume zuständige Mitarbeiter der Stadtverwaltung Trier wurde wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 4800 Euro verurteilt. Der angeklagte Gärtnermeister hätte nach Auffassung des Gerichts verhindern können und müssen, dass eine kranke Kastanie im Trierer Rautenstrauchpark am 22. November 2012 am Fuß abbrach und zwei Menschen unter sich begrub. Ein Jurist aus Trier erlitt schwere Knochenbrüche und ist heute gehbehindert, eine 70-Jährige starb vor Ort. Strafrichter Wolf-Dietrich Strick verhängte eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 40 Euro. "Schlampig und verantwortungslos", so Strick, habe der Angeklagte "alles unterlassen, was richtig und wichtig war". Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Roderich Schmitz, der Verteidiger des Angeklagten, hat Berufung eingelegt. Der Fall wird vor dem Landgericht neu verhandelt, ein Termin steht noch nicht fest. jp

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