Hitzige Corona-Bundestagsdebatte Lauterbach: Aus Omikron-Wand einen „steilen Hügel“ machen

Analyse | Berlin · Im Bundestag gerät Gesundheitsminister Karl Lauterbach unter Druck. Die Impfkampagne stockt, Testkapazitäten werden knapp, bei der Impfpflicht legt der SPD-Politiker nun doch keinen eigenen Antrag vor. Die Union spricht von Arbeitsverweigerung.

Er wartet auf bessere Nachrichten im Kampf gegen die Pandemie: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Er wartet auf bessere Nachrichten im Kampf gegen die Pandemie: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Foto: dpa/Michael Kappeler

Kein Zeitplan für die Impfpflicht, verfehlte Impfziele, knapp werdende Testkapazitäten und eine gewaltige Omikron-Viruswelle vor Augen - Kanzler Olaf Scholz und sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach geraten wegen ihrer Corona-Politik zusehends unter Druck. Am Donnerstag warnte Lauterbach im Bundestag davor, dass der Kampf gegen die Pandemie ohne eine allgemeine Impfpflicht wahrscheinlich nicht zu gewinnen sei. Der SPD-Politiker nahm zugleich aber seine Ankündigung zurück, einen eigenen Gesetzesvorschlag zur Ausgestaltung der heftig umstrittenen Impfpflicht vorzulegen.

Die Union warf Lauterbach daraufhin in einer hitzigen Bundestagsdebatte „Arbeitsverweigerung“ vor. CDU und CSU machten ihn auch dafür verantwortlich, dass angesichts explodierender Infektionszahlen durch die Omikron-Virusvariante PCR-Testlabore völlig überlastet sind. Scholz und Lauterbach hätten Warnungen ihres eigenen Corona-Expertenrates zur Omikron-Wucht ignoriert und keine ausreichende Vorsorge getroffen. Fachleute fordern nun eine Priorisierung bei PCR-Tests, etwa für Schwerkranke oder Beschäftigte in Bereichen der kritischen Infrastrukturen.

Da der Impfschutz für Kinder und Jugendliche mit der Zeit ebenfalls nachlässt, empfiehlt die Ständige Impfkommission jetzt auch Booster für 12- bis 17-Jährige. Die dritte Impfstoffdosis sollte in einem Mindestabstand von drei Monaten zur vorangegangenen Impfung verabreicht werden, teilte die Stiko mit.

Im Bundestag sagte Lauterbach: „Für mich ist der sicherste und schnellste Weg aus der Pandemie heraus die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland.“ Den Einwand von Kritikern, ein so harter Eingriff des Staates in die körperliche Unversehrtheit der Bürger sei moralisch nicht vertretbar, wies der Epidemiologe aus Leverkusen unter Rückgriff auf den Philosophen Immanuel Kant zurück. Wer das Impfangebot verweigere, verletze letztlich die Maßgabe des kategorischen Imperativs. „Wenn wir uns alle weigern würden, gut erforschte und nebenwirkungsarme Impfung zu verweigern, würden wir die Pandemie wahrscheinlich nie beenden werden.“ Deutschland habe es in der Hand, mit ausreichend Erst- und Booster-Impfungen Leid, weitere Todesfälle und ein drohendes viertes Pandemie-Jahr 2023 zu verhindern. „So kann es gelingen, aus der Wand der Omikron-Welle einen steilen Hügel zu machen, oder zumindest die Höhe der Wand zu begrenzen“, versuchte sich Lauterbach als Mutmacher.

Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus behauptete, Deutschland „impft und boostert gerade was das Zeug hält“ und sei „Booster-Europaweltmeister“. Tatsächlich ist das im Dezember erreichte Rekordtempo bei Impfungen mit teilweise 1,6 Millionen Impfungen täglich seit Jahresbeginn deutlich erlahmt. Am Mittwoch gab es bundesweit 780.000, immerhin deutlich mehr als am Montag (533.000). Das von Scholz ausgegebene Ziel, weitere 30 Millionen Erst-, Zweit- und Boosterimpfungen bis Ende Januar zu erreichen, dürfte die Regierung dennoch verfehlen. „Es wird sehr schwer sein, das ist klar“, räumte Lauterbach ein.

Der CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge warf ihm deshalb eine „Politik der eingeschlafenen Füße“ vor. Der Minister kündige viel an, setze aber wenig um. Auch die von Scholz bereits zum 7. Januar versprochene und nun auf Ende des Monats verschobene Erstimpfungsquote von 80 Prozent dürfte die Regierung verfehlen. Mit Stand Mittwoch lag die Quote bei 74,8 Prozent (62,2 Millionen Bürger).

Die Union nahm Lauterbach heftig in die Mangel, weil die Ampel-Regierung und Scholz auf einen eigenen Vorschlag für die Ausgestaltung einer Impfpflicht verzichten wollen. Die Bundesregierung verhalte sich damit wie eine Nichtregierungsorganisation. In Interviews hatte sich Lauterbach unmittelbar vor der Bundestagsdebatte erklärt. Dem Parlament einen eigenen Entwurf zu präsentieren, wäre "keine so kluge Idee". Sein Ministerium unterstütze aber Abgeordnete "im Sinne eines treuen Dienstleisters", damit sie ihre Anträge so gestalten können, dass sie rechtlich haltbar sind und ihren Zweck erfüllen. Bisher liegt aus der FDP nur ein Antrag von Gegnern einer Impfpflicht vor. Die SPD-Fraktion will bis Ende Januar einen Vorschlag unterbreiten. Abstimmen will der Bundestag ohne Fraktionszwang voraussichtlich Ende März.

Wegen Rekord-Neuinfektionen werden bundesweit Laborkapazitäten zur Auswertung von PCR-Tests knapp. Diese sind wichtig, um einen Schnelltest zu bestätigen sowie sich aus der Quarantäne freizutesten. Der von Scholz eingesetzte Leiter des Corona-Krisenstabes im Kanzleramt, Generalmajor Carsten Breuer, sagte der „Süddeutschen Zeitung“: "Wir werden mit Sicherheit wie bei allen knappen Ressourcen Kapazitäten bündeln müssen, wo es erforderlich ist." Bei Engpässen müsse priorisiert werden. „Da haben Beschäftigte in der kritischen Infrastruktur Vorrang." Bund und Länder planen derzeit keine zusätzlichen Kontaktbeschränkungen. Die Ministerpräsidenten wollen am 24. Januar erneut mit Scholz beraten. Bereits an diesem Freitag wollen sich Lauterbach, RKI-Präsident Lothar Wieler und der Corona-Experte der Charité, Christian Drosten, zur aktuellen Pandemie-Lage äußern.

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