Der Schein trügt

Klare Aussprache, klare Ergebnisse. So will die Große Koalition ihre Klausur in Meseberg verstanden wissen. Inhaltliche Überraschungen gab es nicht, die hat auch niemand erwartet. Die eigentliche Botschaft ist: Bis zur nächsten Bundestagswahl empfindet sich das Bündnis aus Union und SPD selber als handlungsfähig - beim Klimaschutz, bei der Beseitigung des Fachkräftemangels, bei Forschung und Wissenschaft oder bei der Sanierung des Arbeitsmarktes. Aber Achtung: Der Schein trügt. Man sollte sich von der brandenburgischen Land-Idylle und den schönen Bildern einer harmonischen Ministerriege nicht blenden lassen. Es ist nur eine Momentaufnahme; die Partnerprobleme von Union und SPD sind für 24 Stunden in Meseberg übertüncht worden. Viele der Initiativen, insbesondere beim Klimaschutz, müssen jetzt in Gesetze gegossen werden. Wer glaubt, dies gehe geräuschlos über die Bühne, weil es beim Grillabend im Schlossgarten so nett gemenschelt hat, verkennt ein Markenzeichen der Großen Koalition: Es ist die Kleinkariertheit, mit der die Bündnispartner Details zur politischen Glaubensfrage stilisieren. Allein, um das eigene Profil zu schärfen. Diese Attitüde liegt vermutlich im Wesen einer Großen Koalition. Sie wird sich verstärken, je näher die Landtagswahlen im kommenden Jahr rücken. Die konkrete Umsetzung des in Meseberg beschlossenen Klimaprogramms zum Beispiel dürfte daher nicht anders ablaufen als seine Entstehung: Hier und da wird getrickst und verändert, abgeschwächt und gewurstelt. Andererseits sind die Pläne dann immer noch ehrgeiziger als alles andere, was sonst bei den Nachbarn in Europa auf den Weg gebracht wird. Auch das gehört zur Wahrheit. Der selbsternannte Klima-Musterschüler ist dennoch durch koalitionsinterne Reibereien leichfertig an seinen eigenen Klimaansprüchen gescheitert - man nehme nur das unsinnige Festhalten am Steuerprivileg für Dienstwagen. Klimaschutz ist eine Frage der Vernunft, und nicht der Ideologie. Vor allem Wirtschaftsminister Glos hat diese Erkenntnis nicht verinnerlicht. Die Spielregeln des Miteinanders innerhalb der Koalition werden ebenso die Umsetzung der anderen Vorhaben beeinflussen. Leider zeigt sich die Verbissenheit der Partner auch beim Thema Rechtsextremismus - von wegen Harmonie: Der rechten Gewalt wird man nicht Herr, wenn man zur Profilierung dar-aus einen Binnenkonflikt strickt, wie es Minister Tiefensee getan hat. Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechten. Dem Problem wird man aber auch nicht Herr, wenn man die Mittel für Prävention auf Sparflamme hält und wie Ursula von der Leyen hilflos davon spricht, man wolle den Rechtsextremisten nicht das Feld überlassen. In vielen Landstrichen der Republik ist es die Realität, dass die Rechten das Sagen haben. Dem Kabinett hätte es gut zu Gesicht gestanden, in dieser Frage klarere, konzeptionelle Kante zu zeigen. Noch etwas muss angemerkt werden. Die Koalition hat sich kaum Gedanken darüber gemacht, wie ein Teil der sprudelnden Steuer- und Abgabenmilliarden an die Bürger zurückgegeben werden könnte. Von Meseberg hätte dieses Signal ausgehen müssen. Es ist ausgeblieben. Ein Fehler. Der Wähler wird sich zu Recht fragen, welchen Nutzen er ganz persönlich von der Klausur gehabt hat. nachrichtenred@volksfreund.de

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