Reden oder Schweigen?

Wenn auf relativ kleinem Raum viele unterschiedliche Menschen zusammen leben (müssen), treten unausweichlich Probleme auf. Zu diesen Problemen gehören Missverständnisse, Verärgerungen und Verletzungen.

Denn wir kommunizieren, also treten untereinander in Kontakt, weitgehend durch die Sprache. Und die besteht aus Wörtern, die ganz unterschiedlich interpretiert werden können. Mit Worten können wir Menschen trösten, ihnen unser Mitgefühl ausdrücken, sie aufbauen, ihnen Zuversicht zusprechen, unsere Sympathie bekunden, sie einfach erfreuen. Umgekehrt kann man mit Worten auch viel Unheil anrichten. Worte sind wie Pfeile, einmal abgeschossen, kann man sie nicht mehr zurück holen. Wie spitze Pfeile können beleidigende Worte auch töten, können den Kontakt zwischen Menschen für immer zerstören. Das Sprichwort "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" hat einen wahren Kern. Es trifft zwar nicht immer zu, aber das Schweigen hat etwas für sich. So gibt es Situationen, in denen besser nichts gesagt, in denen geschwiegen wird. Das ist dann so, wenn zum Beispiel jemand im Sterben liegt. Wenn es nichts mehr zu sagen gibt, wenn jedes Wort überflüssig wäre, wenn eben schon alles gesagt ist. Diese Stille dann auszuhalten, ist nicht einfach. Und zwar deshalb, weil wir dann den Raum der Stille nur durch unsere Anwesenheit ausfüllen können. Durch unser schweigendes Dasein. Wer es schon einmal erlebt hat, weiß aber, wie heilsam solche Erfahrungen sind. Das wortlose Aushalten des Augenblicks, der sich schier endlos auszudehnen scheint. Wenn nur noch das Atmen da ist und die Stille, die einen fast zerreißt. Diese Endlosigkeit des Augenblicks kennen aber auch Liebende. Es ist das gleiche Phänomen. Es ist die Situation, in der einzig und allein das Da-Sein zählt. Nichts sonst. Wer zur rechten Zeit zu schweigen versteht, ist eins mit sich und mit Gott. Schweigen heilt: die Beziehung zwischen Menschen und die Beziehung des Menschen zu Gott. Schweigen ist kein Selbstzweck. Aber wer gerne und viel redet, sollte auch die Früchte des Schweigens kennen lernen.

Harald Müller-Baußmann ist Diakon und lebt in Morbach.

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